Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].geben. Sie setzte ihn mit der feinsten Urbanität, aber mit sehr ernsten Worten über seine unverantwortliche religiöse Parteilichkeit zur Rede. Der Censor, eines solchen Angriffes von einer so hochstehenden Dame nicht gewärtig, wand sich wie ein Wurm in den ausgesuchtesten beschönigenden Redensarten, zog aber gegen die schlichte Wahrheit gar sehr den kürzeren. Er gab schließlich die demüthige Versicherung, daß dergleichen nicht mehr vorkommen solle, und seitdem hatten, wie Cuvier angab, jene gehässigen Ausfälle aufgehört. Anfangs besuchte ich den Neffen in seinem heitern wohnlichen Zimmer, das eine freundliche Aussicht in den Jardin des plantes gewährte; als er mich eines Abends zum Thee geladen, führte mich der Bediente durch andre Gänge in das große Studirzimmer des Oheims, wo ich den Neffen ganz allein bei einer hellen Astrallampe am lodernden Kamin sitzend antraf. Als ich meine Verwunderung über diese Lokalveränderung nicht verbergen konnte, meinte er, der Oheim sei nicht zu Hause und gestatte ihm gern den Aufenthalt in den freieren Räumen. Ich zeigte mich damit nicht unzufrieden, da des Neffen eignes Zimmer selten recht warm war, und fragte, ob mir gestattet sei, mich in dem Arbeitszimmer des großen Gelehrten etwas umzusehn? Dies erlaubte der Neffe gern, und ich durchmusterte nun die alle Wände bedeckenden Bücherbretter voll naturhistorischer Werke. Auf einem großen runden Tische lagen, strahlenförmig von der Mitte ausgehend, mehrere Konvolute von Handschriften, alle mit großen deutlichen Aufschriften; ich erinnre mich gelesen zu haben: Anatomie comparee. Regne animal. Ossements fossiles. An dem letzten Werke, sagte Cuvier, sei der geben. Sie setzte ihn mit der feinsten Urbanität, aber mit sehr ernsten Worten über seine unverantwortliche religiöse Parteilichkeit zur Rede. Der Censor, eines solchen Angriffes von einer so hochstehenden Dame nicht gewärtig, wand sich wie ein Wurm in den ausgesuchtesten beschönigenden Redensarten, zog aber gegen die schlichte Wahrheit gar sehr den kürzeren. Er gab schließlich die demüthige Versicherung, daß dergleichen nicht mehr vorkommen solle, und seitdem hatten, wie Cuvier angab, jene gehässigen Ausfälle aufgehört. Anfangs besuchte ich den Neffen in seinem heitern wohnlichen Zimmer, das eine freundliche Aussicht in den Jardin des plantes gewährte; als er mich eines Abends zum Thee geladen, führte mich der Bediente durch andre Gänge in das große Studirzimmer des Oheims, wo ich den Neffen ganz allein bei einer hellen Astrallampe am lodernden Kamin sitzend antraf. Als ich meine Verwunderung über diese Lokalveränderung nicht verbergen konnte, meinte er, der Oheim sei nicht zu Hause und gestatte ihm gern den Aufenthalt in den freieren Räumen. Ich zeigte mich damit nicht unzufrieden, da des Neffen eignes Zimmer selten recht warm war, und fragte, ob mir gestattet sei, mich in dem Arbeitszimmer des großen Gelehrten etwas umzusehn? Dies erlaubte der Neffe gern, und ich durchmusterte nun die alle Wände bedeckenden Bücherbretter voll naturhistorischer Werke. Auf einem großen runden Tische lagen, strahlenförmig von der Mitte ausgehend, mehrere Konvolute von Handschriften, alle mit großen deutlichen Aufschriften; ich erinnre mich gelesen zu haben: Anatomie comparée. Règne animal. Ossements fossiles. An dem letzten Werke, sagte Cuvier, sei der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0453" n="445"/> geben. Sie setzte ihn mit der feinsten Urbanität, aber mit sehr ernsten Worten über seine unverantwortliche religiöse Parteilichkeit zur Rede. Der Censor, eines solchen Angriffes von einer so hochstehenden Dame nicht gewärtig, wand sich wie ein Wurm in den ausgesuchtesten beschönigenden Redensarten, zog aber gegen die schlichte Wahrheit gar sehr den kürzeren. Er gab schließlich die demüthige Versicherung, daß dergleichen nicht mehr vorkommen solle, und seitdem hatten, wie Cuvier angab, jene gehässigen Ausfälle aufgehört. </p><lb/> <p>Anfangs besuchte ich den Neffen in seinem heitern wohnlichen Zimmer, das eine freundliche Aussicht in den Jardin des plantes gewährte; als er mich eines Abends zum Thee geladen, führte mich der Bediente durch andre Gänge in das große Studirzimmer des Oheims, wo ich den Neffen ganz allein bei einer hellen Astrallampe am lodernden Kamin sitzend antraf. Als ich meine Verwunderung über diese Lokalveränderung nicht verbergen konnte, meinte er, der Oheim sei nicht zu Hause und gestatte ihm gern den Aufenthalt in den freieren Räumen. Ich zeigte mich damit nicht unzufrieden, da des Neffen eignes Zimmer selten recht warm war, und fragte, ob mir gestattet sei, mich in dem Arbeitszimmer des großen Gelehrten etwas umzusehn? Dies erlaubte der Neffe gern, und ich durchmusterte nun die alle Wände bedeckenden Bücherbretter voll naturhistorischer Werke. Auf einem großen runden Tische lagen, strahlenförmig von der Mitte ausgehend, mehrere Konvolute von Handschriften, alle mit großen deutlichen Aufschriften; ich erinnre mich gelesen zu haben: Anatomie comparée. Règne animal. Ossements fossiles. An dem letzten Werke, sagte Cuvier, sei der </p> </div> </body> </text> </TEI> [445/0453]
geben. Sie setzte ihn mit der feinsten Urbanität, aber mit sehr ernsten Worten über seine unverantwortliche religiöse Parteilichkeit zur Rede. Der Censor, eines solchen Angriffes von einer so hochstehenden Dame nicht gewärtig, wand sich wie ein Wurm in den ausgesuchtesten beschönigenden Redensarten, zog aber gegen die schlichte Wahrheit gar sehr den kürzeren. Er gab schließlich die demüthige Versicherung, daß dergleichen nicht mehr vorkommen solle, und seitdem hatten, wie Cuvier angab, jene gehässigen Ausfälle aufgehört.
Anfangs besuchte ich den Neffen in seinem heitern wohnlichen Zimmer, das eine freundliche Aussicht in den Jardin des plantes gewährte; als er mich eines Abends zum Thee geladen, führte mich der Bediente durch andre Gänge in das große Studirzimmer des Oheims, wo ich den Neffen ganz allein bei einer hellen Astrallampe am lodernden Kamin sitzend antraf. Als ich meine Verwunderung über diese Lokalveränderung nicht verbergen konnte, meinte er, der Oheim sei nicht zu Hause und gestatte ihm gern den Aufenthalt in den freieren Räumen. Ich zeigte mich damit nicht unzufrieden, da des Neffen eignes Zimmer selten recht warm war, und fragte, ob mir gestattet sei, mich in dem Arbeitszimmer des großen Gelehrten etwas umzusehn? Dies erlaubte der Neffe gern, und ich durchmusterte nun die alle Wände bedeckenden Bücherbretter voll naturhistorischer Werke. Auf einem großen runden Tische lagen, strahlenförmig von der Mitte ausgehend, mehrere Konvolute von Handschriften, alle mit großen deutlichen Aufschriften; ich erinnre mich gelesen zu haben: Anatomie comparée. Règne animal. Ossements fossiles. An dem letzten Werke, sagte Cuvier, sei der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1)
(2014-01-07T13:04:32Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |