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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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hüpfen der in der Mitte der Straße fließenden schmutzigen Bäche sehr unbequem, aber es erregte bei Feuerbach die gröste Heiterkeit, als er erfuhr, es gebe für die Laufburschen, die Kommissionäre, ja selbst für die Briefträger einen besonderen Namen: le saute-ruisseau.

In der Bildergallerie des Louvre kam es vor, daß ich, indem wir an einem heißen Nachmittage vor die traten, unwillkührlich zur Abkühlung den Hut lüpfte. Aha! sagte Feuerbach, Sie salutiren den Rafael; das ist recht; vor dem will ich auch den Hut abnehmen. Die Deutung war zu artig, als daß ich sie nicht hätte acceptiren sollen; sie ward nun bei allen guten Bildern angewandt. Wird hier salutirt? sagte Feuerbach oft mit einem fragenden Blicke, wenn wir vor einem Bilde standen, dessen Werth ihm zweifelhaft schien.

In Betreff des Theatre francais bereitete ich ihn darauf vor, daß er in Deklamation und Gebehrden etwas ganz anderes finden werde als bei uns, auf der einen Seite mehr Steifheit, auf der andern mehr Wuth; allein die Einrichtungen, so verkehrt sie uns manchmal erscheinen möchten, erhielten durch eine mehr als hundertjährige Praxis ihre Bedeutung. Der ächte französische Tragiker dürfe nie mehr als zwei Schritte machen, und müsse dann den hinteren Fuß langsam nachziehn, die Gebehrde der Arme dürfe die Höhe des Kopfes nicht überschreiten; den Mitspielern, oder gar dem Publikum während der Rede den Rücken zuzuwenden, sei gänzlich verpönt; die Falten in der Toga seien genäht; wenn die einzelnen Akte verschiedene Situationen brächten, so würden in den Zwischenakten die Falten umgenäht; niemand dürfe auf der Bühne sterben, sondern nur hinter den Kulissen u. s. w. Wir

hüpfen der in der Mitte der Straße fließenden schmutzigen Bäche sehr unbequem, aber es erregte bei Feuerbach die gröste Heiterkeit, als er erfuhr, es gebe für die Laufburschen, die Kommissionäre, ja selbst für die Briefträger einen besonderen Namen: le saute-ruisseau.

In der Bildergallerie des Louvre kam es vor, daß ich, indem wir an einem heißen Nachmittage vor die ‹Belle jardiniere› traten, unwillkührlich zur Abkühlung den Hut lüpfte. Aha! sagte Feuerbach, Sie salutiren den Rafael; das ist recht; vor dem will ich auch den Hut abnehmen. Die Deutung war zu artig, als daß ich sie nicht hätte acceptiren sollen; sie ward nun bei allen guten Bildern angewandt. Wird hier salutirt? sagte Feuerbach oft mit einem fragenden Blicke, wenn wir vor einem Bilde standen, dessen Werth ihm zweifelhaft schien.

In Betreff des Théatre français bereitete ich ihn darauf vor, daß er in Deklamation und Gebehrden etwas ganz anderes finden werde als bei uns, auf der einen Seite mehr Steifheit, auf der andern mehr Wuth; allein die Einrichtungen, so verkehrt sie uns manchmal erscheinen möchten, erhielten durch eine mehr als hundertjährige Praxis ihre Bedeutung. Der ächte französische Tragiker dürfe nie mehr als zwei Schritte machen, und müsse dann den hinteren Fuß langsam nachziehn, die Gebehrde der Arme dürfe die Höhe des Kopfes nicht überschreiten; den Mitspielern, oder gar dem Publikum während der Rede den Rücken zuzuwenden, sei gänzlich verpönt; die Falten in der Toga seien genäht; wenn die einzelnen Akte verschiedene Situationen brächten, so würden in den Zwischenakten die Falten umgenäht; niemand dürfe auf der Bühne sterben, sondern nur hinter den Kulissen u. s. w. Wir

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[474/0482] hüpfen der in der Mitte der Straße fließenden schmutzigen Bäche sehr unbequem, aber es erregte bei Feuerbach die gröste Heiterkeit, als er erfuhr, es gebe für die Laufburschen, die Kommissionäre, ja selbst für die Briefträger einen besonderen Namen: le saute-ruisseau. In der Bildergallerie des Louvre kam es vor, daß ich, indem wir an einem heißen Nachmittage vor die ‹Belle jardiniere› traten, unwillkührlich zur Abkühlung den Hut lüpfte. Aha! sagte Feuerbach, Sie salutiren den Rafael; das ist recht; vor dem will ich auch den Hut abnehmen. Die Deutung war zu artig, als daß ich sie nicht hätte acceptiren sollen; sie ward nun bei allen guten Bildern angewandt. Wird hier salutirt? sagte Feuerbach oft mit einem fragenden Blicke, wenn wir vor einem Bilde standen, dessen Werth ihm zweifelhaft schien. In Betreff des Théatre français bereitete ich ihn darauf vor, daß er in Deklamation und Gebehrden etwas ganz anderes finden werde als bei uns, auf der einen Seite mehr Steifheit, auf der andern mehr Wuth; allein die Einrichtungen, so verkehrt sie uns manchmal erscheinen möchten, erhielten durch eine mehr als hundertjährige Praxis ihre Bedeutung. Der ächte französische Tragiker dürfe nie mehr als zwei Schritte machen, und müsse dann den hinteren Fuß langsam nachziehn, die Gebehrde der Arme dürfe die Höhe des Kopfes nicht überschreiten; den Mitspielern, oder gar dem Publikum während der Rede den Rücken zuzuwenden, sei gänzlich verpönt; die Falten in der Toga seien genäht; wenn die einzelnen Akte verschiedene Situationen brächten, so würden in den Zwischenakten die Falten umgenäht; niemand dürfe auf der Bühne sterben, sondern nur hinter den Kulissen u. s. w. Wir

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/482>, abgerufen am 24.11.2024.