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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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einem Meister von so eminenter Geistesgröße durfte man erwarten, daß er bei seiner neueren Schöpfung auf die älteren, schon vorhandenen Figuren Rücksicht nehme. Dazu komme der Umstand, daß jetzt, nach 300 Jahren, die Malereien der Decke noch immer in leuchtender Frische herabblicken, während die oberen Theile des Gerichtes in ein fast unkenntliches Dunkel versanken. In dem Jonas verehrte Schinkel das gröste Kunst- und Meisterstück der Perspective. Der Prophet beugt sich in meisterhafter Verkürzung mit dem Oberkörper nach hinten, die Knie und Beine treten lebhaft nach vorn. Schon auf einer ebnen Fläche würde dies keine leichte Angabe sein, aber der Gewölbbogen der Decke, auf dem der Jonas gemalt ist, hängt nach vorn über, so daß der Kopf der Figur dem Auge des Beschauers näher ist, als die Knie. Dies Verhältniß ließ sich sehr gut an dem Kupferstiche von Volpato erläutern, der in der Samlung des Onkels nicht fehlte.

Als ich 6 Jahre später das Original des jüngsten Gerichtes in Rom betrachtete, fand ich eine andre Bemerkung Schinkels bestätigt, daß man das immense Werk im Kupferstiche besser genieße, als im Originale, wenngleich es von unschätzbarer Wichtigkeit sei, das Original gesehn zu haben. So hatte ich mich vor dem Metzischen Stiche mit Anschauung ganz vollgesogen, und die einzelnen Gruppen mir eingeprägt, nun bot mir das Original eine 60 Fuß hohe, sehr beschmutzte, und durch Uebermalung verunstaltete Wand, an der man kaum die untersten Figuren mit einiger Genauigkeit betrachten konnte, da schon diese 10 Fuß über dem Boden anfangen. Von den höheren Theilen ließ sich nur ein ganz allgemeiner Eindruck davontragen, und wenn man auch während der langweiligen kirchlichen

einem Meister von so eminenter Geistesgröße durfte man erwarten, daß er bei seiner neueren Schöpfung auf die älteren, schon vorhandenen Figuren Rücksicht nehme. Dazu komme der Umstand, daß jetzt, nach 300 Jahren, die Malereien der Decke noch immer in leuchtender Frische herabblicken, während die oberen Theile des Gerichtes in ein fast unkenntliches Dunkel versanken. In dem Jonas verehrte Schinkel das gröste Kunst- und Meisterstück der Perspective. Der Prophet beugt sich in meisterhafter Verkürzung mit dem Oberkörper nach hinten, die Knie und Beine treten lebhaft nach vorn. Schon auf einer ebnen Fläche würde dies keine leichte Angabe sein, aber der Gewölbbogen der Decke, auf dem der Jonas gemalt ist, hängt nach vorn über, so daß der Kopf der Figur dem Auge des Beschauers näher ist, als die Knie. Dies Verhältniß ließ sich sehr gut an dem Kupferstiche von Volpato erläutern, der in der Samlung des Onkels nicht fehlte.

Als ich 6 Jahre später das Original des jüngsten Gerichtes in Rom betrachtete, fand ich eine andre Bemerkung Schinkels bestätigt, daß man das immense Werk im Kupferstiche besser genieße, als im Originale, wenngleich es von unschätzbarer Wichtigkeit sei, das Original gesehn zu haben. So hatte ich mich vor dem Metzischen Stiche mit Anschauung ganz vollgesogen, und die einzelnen Gruppen mir eingeprägt, nun bot mir das Original eine 60 Fuß hohe, sehr beschmutzte, und durch Uebermalung verunstaltete Wand, an der man kaum die untersten Figuren mit einiger Genauigkeit betrachten konnte, da schon diese 10 Fuß über dem Boden anfangen. Von den höheren Theilen ließ sich nur ein ganz allgemeiner Eindruck davontragen, und wenn man auch während der langweiligen kirchlichen

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einem Meister von so eminenter Geistesgröße durfte man erwarten, daß er bei seiner neueren Schöpfung auf die älteren, schon vorhandenen Figuren Rücksicht nehme. Dazu komme der Umstand, daß jetzt, nach 300 Jahren, die Malereien der Decke noch immer in leuchtender Frische herabblicken, während die oberen Theile des Gerichtes in ein fast unkenntliches Dunkel versanken. In dem Jonas verehrte Schinkel das gröste Kunst- und Meisterstück der Perspective. Der Prophet beugt sich in meisterhafter Verkürzung mit dem Oberkörper nach hinten, die Knie und Beine treten lebhaft nach vorn. Schon auf einer ebnen Fläche würde dies keine leichte Angabe sein, aber der Gewölbbogen der Decke, auf dem der Jonas gemalt ist, hängt nach vorn über, so daß der Kopf der Figur dem Auge des Beschauers näher ist, als die Knie. Dies Verhältniß ließ sich sehr gut an dem Kupferstiche von Volpato erläutern, der in der Samlung des Onkels nicht fehlte. </p><lb/>
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[74/0082] einem Meister von so eminenter Geistesgröße durfte man erwarten, daß er bei seiner neueren Schöpfung auf die älteren, schon vorhandenen Figuren Rücksicht nehme. Dazu komme der Umstand, daß jetzt, nach 300 Jahren, die Malereien der Decke noch immer in leuchtender Frische herabblicken, während die oberen Theile des Gerichtes in ein fast unkenntliches Dunkel versanken. In dem Jonas verehrte Schinkel das gröste Kunst- und Meisterstück der Perspective. Der Prophet beugt sich in meisterhafter Verkürzung mit dem Oberkörper nach hinten, die Knie und Beine treten lebhaft nach vorn. Schon auf einer ebnen Fläche würde dies keine leichte Angabe sein, aber der Gewölbbogen der Decke, auf dem der Jonas gemalt ist, hängt nach vorn über, so daß der Kopf der Figur dem Auge des Beschauers näher ist, als die Knie. Dies Verhältniß ließ sich sehr gut an dem Kupferstiche von Volpato erläutern, der in der Samlung des Onkels nicht fehlte. Als ich 6 Jahre später das Original des jüngsten Gerichtes in Rom betrachtete, fand ich eine andre Bemerkung Schinkels bestätigt, daß man das immense Werk im Kupferstiche besser genieße, als im Originale, wenngleich es von unschätzbarer Wichtigkeit sei, das Original gesehn zu haben. So hatte ich mich vor dem Metzischen Stiche mit Anschauung ganz vollgesogen, und die einzelnen Gruppen mir eingeprägt, nun bot mir das Original eine 60 Fuß hohe, sehr beschmutzte, und durch Uebermalung verunstaltete Wand, an der man kaum die untersten Figuren mit einiger Genauigkeit betrachten konnte, da schon diese 10 Fuß über dem Boden anfangen. Von den höheren Theilen ließ sich nur ein ganz allgemeiner Eindruck davontragen, und wenn man auch während der langweiligen kirchlichen

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/82>, abgerufen am 24.11.2024.