Vor nichts werden wir uns bei unsern Untersuchungen mehr zu hüten haben, als vor der Aufstellung von falschen Thatsachen, denn nichts ist gefährlicher zu bestreiten, und bringt grössere Unord- nung hervor: man findet sie nirgend häufiger als in der Medizin und Klimatologie.
Zwei Tendenzen unseres Zeitalters sind merkwürdig: die empirische und philosophische: bei der ersten sehn wir eine grosse Aufhäufung von Thatsachen, ohne dass dabei auf den Sinn des Ganzen Rüksicht genommen wird; bei der 2ten sehn wir, dass Beobachtungen und Versuche verachtet werden: indem sie alles a priori erklärt, könte man die Chemie mit unbenezten Händen treiben: sie baut nur einen dogmatischen Schematismus auf, der durchaus zu keiner Realität der Kentnisse führt. Es solten aber Naturphilosophie und Empirie nie im Widerspruche stehn, und jeder Forschende solte sich be- streben, sie in ihrer Durchdringung zu erkennen. So ist man z. B. allerdings überzeugt, dass es so wenig einen Lichtstoff giebt, als einen Wärme- und Schallstoff: dennoch mus man dies bei den mathematischen Hypothesen in diesen Wissenschaften annehmen, um sie der Rechnung zu unterwerfen: ja es sind hiebei solche Voraussezungen nicht nur unschädlich, sondern sogar nöthig.
Vor nichts werden wir uns bei unsern Untersuchungen mehr zu hüten haben, als vor der Aufstellung von falschen Thatsachen, denn nichts ist gefährlicher zu bestreiten, und bringt grössere Unord- nung hervor: man findet sie nirgend häufiger als in der Medizin und Klimatologie.
Zwei Tendenzen unseres Zeitalters sind merkwürdig: die empirische und philosophische: bei der ersten sehn wir eine grosse Aufhäufung von Thatsachen, ohne dass dabei auf den Sinn des Ganzen Rüksicht genommen wird; bei der 2ten sehn wir, dass Beobachtungen und Versuche verachtet werden: indem sie alles a priori erklärt, könte man die Chemie mit unbenezten Händen treiben: sie baut nur einen dogmatischen Schematismus auf, der durchaus zu keiner Realität der Kentnisse führt. Es solten aber Naturphilosophie und Empirie nie im Widerspruche stehn, und jeder Forschende solte sich be- streben, sie in ihrer Durchdringung zu erkennen. So ist man z. B. allerdings überzeugt, dass es so wenig einen Lichtstoff giebt, als einen Wärme- und Schallstoff: dennoch mus man dies bei den mathematischen Hypothesen in diesen Wissenschaften annehmen, um sie der Rechnung zu unterwerfen: ja es sind hiebei solche Voraussezungen nicht nur unschädlich, sondern sogar nöthig.
<TEI><text><body><divn="1"><divtype="session"n="5"><pbfacs="#f0057"n="27r"/><p>Vor nichts werden wir uns bei unsern Untersuchungen mehr zu<lb/>
hüten haben, als vor der Aufstellung von falschen Thatsachen, denn<lb/>
nichts ist gefährlicher zu bestreiten, und bringt grössere Unord-<lb/>
nung hervor: man findet sie nirgend häufiger als in der Medizin<lb/>
und Klimatologie.</p><lb/><p>Zwei Tendenzen unseres Zeitalters sind merkwürdig: die empirische<lb/>
und philosophische: bei der ersten sehn wir eine grosse Aufhäufung<lb/>
von Thatsachen, ohne <choice><sic>das</sic><corrresp="#CT">dass</corr></choice> dabei auf den Sinn des Ganzen Rüksicht<lb/>
genommen wird; bei der 2<choice><abbr><hirendition="#sup #uu"></hi></abbr><expanresp="#CT"><hirendition="#sup #uu">ten</hi></expan></choice> sehn wir, dass Beobachtungen und<lb/>
Versuche verachtet werden: indem sie alles a priori erklärt, könte<lb/>
man die Chemie mit unbenezten Händen treiben: sie baut nur einen<lb/>
dogmatischen Schematismus auf, der durchaus zu keiner Realität<lb/>
der Kentnisse führt. Es solten aber Naturphilosophie und Empirie<lb/>
nie im Widerspruche stehn, und jeder Forschende solte sich be-<lb/>
streben, sie in ihrer Durchdringung zu erkennen. So ist man <choice><orig>zB.</orig><regresp="#CT">z. B.</reg></choice><lb/>
allerdings überzeugt, dass es so wenig einen Lichtstoff giebt, als<lb/><choice><sic>eine</sic><corrresp="#CT">einen</corr></choice> Wärme- und Schallstoff: dennoch mus man dies bei den<lb/>
mathematischen Hypothesen in diesen Wissenschaften annehmen,<lb/>
um sie der Rechnung zu unterwerfen: ja es sind hiebei solche<lb/>
Voraussezungen nicht nur unschädlich, sondern sogar nöthig.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/></div></div></body></text></TEI>
[27r/0057]
Vor nichts werden wir uns bei unsern Untersuchungen mehr zu
hüten haben, als vor der Aufstellung von falschen Thatsachen, denn
nichts ist gefährlicher zu bestreiten, und bringt grössere Unord-
nung hervor: man findet sie nirgend häufiger als in der Medizin
und Klimatologie.
Zwei Tendenzen unseres Zeitalters sind merkwürdig: die empirische
und philosophische: bei der ersten sehn wir eine grosse Aufhäufung
von Thatsachen, ohne dass dabei auf den Sinn des Ganzen Rüksicht
genommen wird; bei der 2 sehn wir, dass Beobachtungen und
Versuche verachtet werden: indem sie alles a priori erklärt, könte
man die Chemie mit unbenezten Händen treiben: sie baut nur einen
dogmatischen Schematismus auf, der durchaus zu keiner Realität
der Kentnisse führt. Es solten aber Naturphilosophie und Empirie
nie im Widerspruche stehn, und jeder Forschende solte sich be-
streben, sie in ihrer Durchdringung zu erkennen. So ist man zB.
allerdings überzeugt, dass es so wenig einen Lichtstoff giebt, als
einen Wärme- und Schallstoff: dennoch mus man dies bei den
mathematischen Hypothesen in diesen Wissenschaften annehmen,
um sie der Rechnung zu unterwerfen: ja es sind hiebei solche
Voraussezungen nicht nur unschädlich, sondern sogar nöthig.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Parthey, Gustav: Alexander von Humboldt[:] Vorlesungen über physikalische Geographie. Novmbr. 1827 bis April,[!] 1828. Nachgeschrieben von G. Partheÿ. [Berlin], [1827/28]. [= Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Berliner Universität, 3.11.1827–26.4.1828.], S. 27r. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_msgermqu1711_1828/57>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.