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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804.

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einer geraumen Viertheil Stunde unten im Hofe,
habe mich aber vor fünf Gänsen, welche vor der
Thüre Flügel und Schnabel gegen mich aufge¬
machet, nicht hereingetraut." -- "Nein, sechs
warens," sagte die satirische Jüdin. "Oder auch
sechs, versezte er; genung, eine ist genung, we
ich gelesen, um einen Menschen durch einen wü¬
thigen Biß ganz toll und wasserscheu zu machen.'

"Ah ca! wandt' er sich zu Walten (mehr
französisch konnt' er nicht), Ihre Polymeter!" --
"Was sinds?" fragte Knol trinkend. "Herr Grai,
(sagte Schomaker, und lies die Pfalz weg) in
der That eine neue Erfindung des jungen Kand¬
daten, meines Schülers, er machet Gedichte nach
einem freien Metrum, so nur einen einzigen, aber
reimfreien Vers haben, den er nach Belieben ver¬
längert, seiten-bogenlang; was er den St[ - 1 Zeichen fehlt]ek¬
vers
nennt, ich einen Polymeter."

Vult fluchte aus Ungeduld zwischen den Ae¬
pfeln. Walt stellte sich endlich mit dem Nanu¬
skripte und mit dem Profil seiner Bogenstim und
seiner graden Nase vor das Licht -- blätterte über
alle Beschreibung lange und blöde nach dem Fron¬

einer geraumen Viertheil Stunde unten im Hofe,
habe mich aber vor fuͤnf Gaͤnſen, welche vor der
Thuͤre Fluͤgel und Schnabel gegen mich aufge¬
machet, nicht hereingetraut.“ — „Nein, ſechs
warens,“ ſagte die ſatiriſche Juͤdin. „Oder auch
ſechs, verſezte er; genung, eine iſt genung, we
ich geleſen, um einen Menſchen durch einen wuͤ¬
thigen Biß ganz toll und waſſerſcheu zu machen.'

Ah ça! wandt' er ſich zu Walten (mehr
franzoͤſiſch konnt' er nicht), Ihre Polymeter!“ —
„Was ſinds?“ fragte Knol trinkend. „Herr Grai,
(ſagte Schomaker, und lies die Pfalz weg) in
der That eine neue Erfindung des jungen Kand¬
daten, meines Schuͤlers, er machet Gedichte nach
einem freien Metrum, ſo nur einen einzigen, aber
reimfreien Vers haben, den er nach Belieben ver¬
laͤngert, ſeiten-bogenlang; was er den St[ – 1 Zeichen fehlt]ek¬
vers
nennt, ich einen Polymeter.“

Vult fluchte aus Ungeduld zwiſchen den Ae¬
pfeln. Walt ſtellte ſich endlich mit dem Nanu¬
ſkripte und mit dem Profil ſeiner Bogenſtim und
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[104/0114] einer geraumen Viertheil Stunde unten im Hofe, habe mich aber vor fuͤnf Gaͤnſen, welche vor der Thuͤre Fluͤgel und Schnabel gegen mich aufge¬ machet, nicht hereingetraut.“ — „Nein, ſechs warens,“ ſagte die ſatiriſche Juͤdin. „Oder auch ſechs, verſezte er; genung, eine iſt genung, we ich geleſen, um einen Menſchen durch einen wuͤ¬ thigen Biß ganz toll und waſſerſcheu zu machen.' „Ah ça! wandt' er ſich zu Walten (mehr franzoͤſiſch konnt' er nicht), Ihre Polymeter!“ — „Was ſinds?“ fragte Knol trinkend. „Herr Grai, (ſagte Schomaker, und lies die Pfalz weg) in der That eine neue Erfindung des jungen Kand¬ daten, meines Schuͤlers, er machet Gedichte nach einem freien Metrum, ſo nur einen einzigen, aber reimfreien Vers haben, den er nach Belieben ver¬ laͤngert, ſeiten-bogenlang; was er den St_ek¬ vers nennt, ich einen Polymeter.“ Vult fluchte aus Ungeduld zwiſchen den Ae¬ pfeln. Walt ſtellte ſich endlich mit dem Nanu¬ ſkripte und mit dem Profil ſeiner Bogenſtim und ſeiner graden Naſe vor das Licht — blaͤtterte uͤber alle Beſchreibung lange und bloͤde nach dem Fron¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/114>, abgerufen am 21.11.2024.