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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804.

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ten der Brautleute -- vor dem Bette eines Ster¬
benden zugleich auf, ja in derselben Minute vor
andern unter; und doch darf jeder nach ihr sehen
und sie an sich heranziehen, als beleuchte sie
seine Bühne nur allein und stimme ein in sein
Leid oder in seine Lust; und ich mögte sagen, ge¬
rade so, wie man Gott so anruft als den seini¬
gen, indeß doch ein Weltall vor ihm betet. Ach
sonst wär' es ja schlimm, wir sind ja alle ein¬
zelne."

"Gut, so nehmt die Sonne hin, sagte
Vult, aber nur der Paradiesesfluß der Kunst
treib' eure Mühlen nicht. Darfst du Thränen
und Stimmungen in die Musik einmengen: so
ist sie nur die Dienerin derselben, nicht ihre
Schöpferin. Eine elende Pfeiferei, die dich am
Todestage eines geliebten Menschen aus den An¬
geln höbe, wäre dann eine gute. Und was wä¬
re das für ein Kunst-Eindruck, der wie die Nes¬
selsucht sogleich verschwindet, sobald man in die
kalte Luft wieder kommt? Die Musik ist un¬
ter allen Künsten die rein-menschlichste, die all¬
gemeinste." -- --

Flegeljahre II. Bd. 10

ten der Brautleute — vor dem Bette eines Ster¬
benden zugleich auf, ja in derſelben Minute vor
andern unter; und doch darf jeder nach ihr ſehen
und ſie an ſich heranziehen, als beleuchte ſie
ſeine Buͤhne nur allein und ſtimme ein in ſein
Leid oder in ſeine Luſt; und ich moͤgte ſagen, ge¬
rade ſo, wie man Gott ſo anruft als den ſeini¬
gen, indeß doch ein Weltall vor ihm betet. Ach
ſonſt waͤr' es ja ſchlimm, wir ſind ja alle ein¬
zelne.“

„Gut, ſo nehmt die Sonne hin, ſagte
Vult, aber nur der Paradieſesfluß der Kunſt
treib' eure Muͤhlen nicht. Darfſt du Thraͤnen
und Stimmungen in die Muſik einmengen: ſo
iſt ſie nur die Dienerin derſelben, nicht ihre
Schoͤpferin. Eine elende Pfeiferei, die dich am
Todestage eines geliebten Menſchen aus den An¬
geln hoͤbe, waͤre dann eine gute. Und was waͤ¬
re das fuͤr ein Kunſt-Eindruck, der wie die Neſ¬
ſelſucht ſogleich verſchwindet, ſobald man in die
kalte Luft wieder kommt? Die Muſik iſt un¬
ter allen Kuͤnſten die rein-menſchlichſte, die all¬
gemeinſte.“ — —

Flegeljahre II. Bd. 10
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[137/0145] ten der Brautleute — vor dem Bette eines Ster¬ benden zugleich auf, ja in derſelben Minute vor andern unter; und doch darf jeder nach ihr ſehen und ſie an ſich heranziehen, als beleuchte ſie ſeine Buͤhne nur allein und ſtimme ein in ſein Leid oder in ſeine Luſt; und ich moͤgte ſagen, ge¬ rade ſo, wie man Gott ſo anruft als den ſeini¬ gen, indeß doch ein Weltall vor ihm betet. Ach ſonſt waͤr' es ja ſchlimm, wir ſind ja alle ein¬ zelne.“ „Gut, ſo nehmt die Sonne hin, ſagte Vult, aber nur der Paradieſesfluß der Kunſt treib' eure Muͤhlen nicht. Darfſt du Thraͤnen und Stimmungen in die Muſik einmengen: ſo iſt ſie nur die Dienerin derſelben, nicht ihre Schoͤpferin. Eine elende Pfeiferei, die dich am Todestage eines geliebten Menſchen aus den An¬ geln hoͤbe, waͤre dann eine gute. Und was waͤ¬ re das fuͤr ein Kunſt-Eindruck, der wie die Neſ¬ ſelſucht ſogleich verſchwindet, ſobald man in die kalte Luft wieder kommt? Die Muſik iſt un¬ ter allen Kuͤnſten die rein-menſchlichſte, die all¬ gemeinſte.“ — — Flegeljahre II. Bd. 10

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804/145>, abgerufen am 23.11.2024.