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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804.

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und fragte: wer kann mich noch lieben? Vult
schwieg und hielt seine Hand nur schlaff. Walt
entzog sie; das steife scharfe Schweigen hielt er
für eine Strafpredigt gegen seine Versündigung.
Er gieng weinend durch die lustigen Abend-Gas¬
sen, neben einem Bruder, um dessen eifersüch¬
tige Brust die Thränen wie versteinernde Wasser
nur Stein-Rinden ansezten.

"Warum hast du mich beschützen wollen,
sagte Walt? Ich war ja nicht unschuldig.
Weist du alles mit dem Briefe?" Vult schüttel¬
te kalt den Kopf; denn Walts frühere Erzäh¬
lungen davon waren, wie alle seine von sich,
aus blöder Demuth zu karg und unbestimmt ge¬
wesen, als daß Vult sein altes, von der Welt
gewektes historisches Talent, jede Begebenheit
rück- und vorwärts zu konstruiren und zu der
kleinsten eine lange Vergangenheit und Zukunft
zu erfinden, sehr dabei hätte zeigen können.
Walt hatte von diesem Hoftalent nichts an sich;
er sah und strich in Einem fort ein Faktum ma¬
lend an; und weiter bracht' ers nie.

Walt erzählt' ihm nun das unglückliche
Uebergeben von Winas Brief an ihren Vater.

und fragte: wer kann mich noch lieben? Vult
ſchwieg und hielt ſeine Hand nur ſchlaff. Walt
entzog ſie; das ſteife ſcharfe Schweigen hielt er
fuͤr eine Strafpredigt gegen ſeine Verſuͤndigung.
Er gieng weinend durch die luſtigen Abend-Gaſ¬
ſen, neben einem Bruder, um deſſen eiferſuͤch¬
tige Bruſt die Thraͤnen wie verſteinernde Waſſer
nur Stein-Rinden anſezten.

„Warum haſt du mich beſchuͤtzen wollen,
ſagte Walt? Ich war ja nicht unſchuldig.
Weiſt du alles mit dem Briefe?“ Vult ſchuͤttel¬
te kalt den Kopf; denn Walts fruͤhere Erzaͤh¬
lungen davon waren, wie alle ſeine von ſich,
aus bloͤder Demuth zu karg und unbeſtimmt ge¬
weſen, als daß Vult ſein altes, von der Welt
gewektes hiſtoriſches Talent, jede Begebenheit
ruͤck- und vorwaͤrts zu konſtruiren und zu der
kleinſten eine lange Vergangenheit und Zukunft
zu erfinden, ſehr dabei haͤtte zeigen koͤnnen.
Walt hatte von dieſem Hoftalent nichts an ſich;
er ſah und ſtrich in Einem fort ein Faktum ma¬
lend an; und weiter bracht' ers nie.

Walt erzaͤhlt' ihm nun das ungluͤckliche
Uebergeben von Winas Brief an ihren Vater.

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[220/0228] und fragte: wer kann mich noch lieben? Vult ſchwieg und hielt ſeine Hand nur ſchlaff. Walt entzog ſie; das ſteife ſcharfe Schweigen hielt er fuͤr eine Strafpredigt gegen ſeine Verſuͤndigung. Er gieng weinend durch die luſtigen Abend-Gaſ¬ ſen, neben einem Bruder, um deſſen eiferſuͤch¬ tige Bruſt die Thraͤnen wie verſteinernde Waſſer nur Stein-Rinden anſezten. „Warum haſt du mich beſchuͤtzen wollen, ſagte Walt? Ich war ja nicht unſchuldig. Weiſt du alles mit dem Briefe?“ Vult ſchuͤttel¬ te kalt den Kopf; denn Walts fruͤhere Erzaͤh¬ lungen davon waren, wie alle ſeine von ſich, aus bloͤder Demuth zu karg und unbeſtimmt ge¬ weſen, als daß Vult ſein altes, von der Welt gewektes hiſtoriſches Talent, jede Begebenheit ruͤck- und vorwaͤrts zu konſtruiren und zu der kleinſten eine lange Vergangenheit und Zukunft zu erfinden, ſehr dabei haͤtte zeigen koͤnnen. Walt hatte von dieſem Hoftalent nichts an ſich; er ſah und ſtrich in Einem fort ein Faktum ma¬ lend an; und weiter bracht' ers nie. Walt erzaͤhlt' ihm nun das ungluͤckliche Uebergeben von Winas Brief an ihren Vater.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804/228>, abgerufen am 24.11.2024.