Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

"Ei Teufel! -- rief Vult verändert, denn er
errieth nun alles und erschrack über die Verwick¬
lung, in welche er den Bruder gezogen --
"Schuppe dich droben bei mir ab." -- "Ja
-- sagte Walt -- Und ob ich gleich kein
Unglück wollte, so hätt' ich doch die Absicht
nicht haben sollen, den Vater und die Braut
zu sehen. Ach wer kann denn sagen im vielfach
verworrenen Leben: ich bin rein. Das Schicksal
hält uns (fuhr er auf der Treppe fort) im Zu¬
falle den Vergrößerungsspiegel unserer kleinsten
Verzerrung vor -- Ach über dem leisen leeren
Wort, über sanften Klängen steht eine stille be¬
deckte Höhe, aus der sie einen ungeheuern Jam¬
mer auf das Leben herunter ziehen *)."

"Schäle dich nur zuvörderst aus dem
Hunds-Meinau heraus" sagte Vult sanfter,
als sie ins stille von Mondlicht gefüllte Zim¬
mer traten. Schweigend hob der Notar den
Kotzebuischen Zuckergus wie ein Strom sein Eis,
that sanft den Ueberrock und Koadjutor-Hut

*) Ein Wort, ein Glockenton reißet oft die Lauwine
ins Fallen.

„Ei Teufel! — rief Vult veraͤndert, denn er
errieth nun alles und erſchrack uͤber die Verwick¬
lung, in welche er den Bruder gezogen —
„Schuppe dich droben bei mir ab.“ — „Ja
— ſagte Walt — Und ob ich gleich kein
Ungluͤck wollte, ſo haͤtt' ich doch die Abſicht
nicht haben ſollen, den Vater und die Braut
zu ſehen. Ach wer kann denn ſagen im vielfach
verworrenen Leben: ich bin rein. Das Schickſal
haͤlt uns (fuhr er auf der Treppe fort) im Zu¬
falle den Vergroͤßerungsſpiegel unſerer kleinſten
Verzerrung vor — Ach uͤber dem leiſen leeren
Wort, uͤber ſanften Klaͤngen ſteht eine ſtille be¬
deckte Hoͤhe, aus der ſie einen ungeheuern Jam¬
mer auf das Leben herunter ziehen *).“

„Schaͤle dich nur zuvoͤrderſt aus dem
Hunds-Meinau heraus“ ſagte Vult ſanfter,
als ſie ins ſtille von Mondlicht gefuͤllte Zim¬
mer traten. Schweigend hob der Notar den
Kotzebuiſchen Zuckergus wie ein Strom ſein Eis,
that ſanft den Ueberrock und Koadjutor-Hut

*) Ein Wort, ein Glockenton reißet oft die Lauwine
ins Fallen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0229" n="221"/>
&#x201E;Ei Teufel! &#x2014; rief Vult vera&#x0364;ndert, denn er<lb/>
errieth nun alles und er&#x017F;chrack u&#x0364;ber die Verwick¬<lb/>
lung, in welche er den Bruder gezogen &#x2014;<lb/>
&#x201E;Schuppe dich droben bei mir ab.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Ja<lb/>
&#x2014; &#x017F;agte Walt &#x2014; Und ob ich gleich kein<lb/>
Unglu&#x0364;ck wollte, &#x017F;o ha&#x0364;tt' ich doch die Ab&#x017F;icht<lb/>
nicht haben &#x017F;ollen, den Vater und die Braut<lb/>
zu &#x017F;ehen. Ach wer kann denn &#x017F;agen im vielfach<lb/>
verworrenen Leben: ich bin rein. Das Schick&#x017F;al<lb/>
ha&#x0364;lt uns (fuhr er auf der Treppe fort) im Zu¬<lb/>
falle den Vergro&#x0364;ßerungs&#x017F;piegel un&#x017F;erer klein&#x017F;ten<lb/>
Verzerrung vor &#x2014; Ach u&#x0364;ber dem lei&#x017F;en leeren<lb/>
Wort, u&#x0364;ber &#x017F;anften Kla&#x0364;ngen &#x017F;teht eine &#x017F;tille be¬<lb/>
deckte Ho&#x0364;he, aus der &#x017F;ie einen ungeheuern Jam¬<lb/>
mer auf das Leben herunter ziehen <note place="foot" n="*)">Ein Wort, ein Glockenton reißet oft die Lauwine<lb/>
ins Fallen.<lb/></note>.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Scha&#x0364;le dich nur zuvo&#x0364;rder&#x017F;t aus dem<lb/>
Hunds-Meinau heraus&#x201C; &#x017F;agte Vult &#x017F;anfter,<lb/>
als &#x017F;ie ins &#x017F;tille von Mondlicht gefu&#x0364;llte Zim¬<lb/>
mer traten. Schweigend hob der Notar den<lb/>
Kotzebui&#x017F;chen Zuckergus wie ein Strom &#x017F;ein Eis,<lb/>
that &#x017F;anft den Ueberrock und Koadjutor-Hut<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[221/0229] „Ei Teufel! — rief Vult veraͤndert, denn er errieth nun alles und erſchrack uͤber die Verwick¬ lung, in welche er den Bruder gezogen — „Schuppe dich droben bei mir ab.“ — „Ja — ſagte Walt — Und ob ich gleich kein Ungluͤck wollte, ſo haͤtt' ich doch die Abſicht nicht haben ſollen, den Vater und die Braut zu ſehen. Ach wer kann denn ſagen im vielfach verworrenen Leben: ich bin rein. Das Schickſal haͤlt uns (fuhr er auf der Treppe fort) im Zu¬ falle den Vergroͤßerungsſpiegel unſerer kleinſten Verzerrung vor — Ach uͤber dem leiſen leeren Wort, uͤber ſanften Klaͤngen ſteht eine ſtille be¬ deckte Hoͤhe, aus der ſie einen ungeheuern Jam¬ mer auf das Leben herunter ziehen *).“ „Schaͤle dich nur zuvoͤrderſt aus dem Hunds-Meinau heraus“ ſagte Vult ſanfter, als ſie ins ſtille von Mondlicht gefuͤllte Zim¬ mer traten. Schweigend hob der Notar den Kotzebuiſchen Zuckergus wie ein Strom ſein Eis, that ſanft den Ueberrock und Koadjutor-Hut *) Ein Wort, ein Glockenton reißet oft die Lauwine ins Fallen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804/229
Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804/229>, abgerufen am 16.05.2024.