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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804.

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ab, und strich die Locken wieder aus. Als
Vult im Mondlicht dem betrübten Schelm das
dünne Nankingrökgen wie einen Gehenkten, am
Aufhäng-Bändgen hinlangt', und er es über¬
haupt überlegte, wie lächerlich der Bruder mit
dem Korkwams der Verkleidung auf dem Trok¬
nen sitzen geblieben: so dauerte ihn der getäusch¬
te stille Mensch in seinen weiten Steifstiefeln un¬
säglich und ihm brach mitten im Lächeln das
Herz in zwei Stücke von -- Thränen entzwei.
"Ich will Dir -- sagt' er, sich hinter ihn wie
hinter ein Schiespferd stellend -- das Zöpflein
machen. -- Nimm aber das Zopfband zwischen
die Zähne; das eine Ende."

Er that's fast verschämt. Als Vult gar
das weiche Kräuselhaar unter die Finger bekam
und den brüderlichen Rücken vor sich hatte --
der sehr leicht den Menschen auf einmal todt,
fern und abwesend darstellt und durch diese Li¬
nienperspektive des Herzens das fremde mitleidig
bewegt: -- so hielt er dem Kopfe den Zügel des
Haares ganz kurz am Genick, damit Gottwalt
sich nicht umkehren könnte, weil er ihm mit fast

ab, und ſtrich die Locken wieder aus. Als
Vult im Mondlicht dem betruͤbten Schelm das
duͤnne Nankingroͤkgen wie einen Gehenkten, am
Aufhaͤng-Baͤndgen hinlangt', und er es uͤber¬
haupt uͤberlegte, wie laͤcherlich der Bruder mit
dem Korkwams der Verkleidung auf dem Trok¬
nen ſitzen geblieben: ſo dauerte ihn der getaͤuſch¬
te ſtille Menſch in ſeinen weiten Steifſtiefeln un¬
ſaͤglich und ihm brach mitten im Laͤcheln das
Herz in zwei Stuͤcke von — Thraͤnen entzwei.
„Ich will Dir — ſagt' er, ſich hinter ihn wie
hinter ein Schiespferd ſtellend — das Zoͤpflein
machen. — Nimm aber das Zopfband zwiſchen
die Zaͤhne; das eine Ende.“

Er that's faſt verſchaͤmt. Als Vult gar
das weiche Kraͤuſelhaar unter die Finger bekam
und den bruͤderlichen Ruͤcken vor ſich hatte —
der ſehr leicht den Menſchen auf einmal todt,
fern und abweſend darſtellt und durch dieſe Li¬
nienperſpektive des Herzens das fremde mitleidig
bewegt: — ſo hielt er dem Kopfe den Zuͤgel des
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[222/0230] ab, und ſtrich die Locken wieder aus. Als Vult im Mondlicht dem betruͤbten Schelm das duͤnne Nankingroͤkgen wie einen Gehenkten, am Aufhaͤng-Baͤndgen hinlangt', und er es uͤber¬ haupt uͤberlegte, wie laͤcherlich der Bruder mit dem Korkwams der Verkleidung auf dem Trok¬ nen ſitzen geblieben: ſo dauerte ihn der getaͤuſch¬ te ſtille Menſch in ſeinen weiten Steifſtiefeln un¬ ſaͤglich und ihm brach mitten im Laͤcheln das Herz in zwei Stuͤcke von — Thraͤnen entzwei. „Ich will Dir — ſagt' er, ſich hinter ihn wie hinter ein Schiespferd ſtellend — das Zoͤpflein machen. — Nimm aber das Zopfband zwiſchen die Zaͤhne; das eine Ende.“ Er that's faſt verſchaͤmt. Als Vult gar das weiche Kraͤuſelhaar unter die Finger bekam und den bruͤderlichen Ruͤcken vor ſich hatte — der ſehr leicht den Menſchen auf einmal todt, fern und abweſend darſtellt und durch dieſe Li¬ nienperſpektive des Herzens das fremde mitleidig bewegt: — ſo hielt er dem Kopfe den Zuͤgel des Haares ganz kurz am Genick, damit Gottwalt ſich nicht umkehren koͤnnte, weil er ihm mit faſt

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804/230>, abgerufen am 16.05.2024.