Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

um) über den Hals schlage, um nur ans Fen¬
ster zu kommen und zu hören.

Unter dieser Rede hatte eine fremde Flöte
so närrisch mit feindlichen Tönen durch die
Nachtmusik gegriffen und geschrien, daß diese es
für angenehmer hielt, überhaupt aufzuhören.
Jakobine sprach laut, ohn' es zu merken, wei¬
ter: "man überkommt dann Gefühle, die nie¬
mand giebt, weder Freundin noch Freund:"

"Etwas leiser, Vortrefliche, ums Himmels¬
willen leiser -- sagte Walt, als sie den lezten
Saz nach der Musik gesagt -- der General
schläft gerade neben an und wacht. Wohl, wohl
ist meistens für ein weibliches Herz eine Freundin
zu unmännlich und ein Freund zu unweiblich." --
Sie sprach so leise als er's haben wollte, und
faste ihn an der Hand mit beiden Händen an,
wodurch die dicke plumpe Serviette, die sie bis¬
her mit den Fingern wie mit Nadeln zugehal¬
ten, aus einander fiel. Er erfuhr, was Höllen¬
angst ist; denn das leisere Sprechen und Bei¬
sammenstehen, wust' er, konnt' ihn ja jede Mi¬
nute, wenn die Thüre aufgieng, bei der Welt

um) uͤber den Hals ſchlage, um nur ans Fen¬
ſter zu kommen und zu hoͤren.

Unter dieſer Rede hatte eine fremde Floͤte
ſo naͤrriſch mit feindlichen Toͤnen durch die
Nachtmuſik gegriffen und geſchrien, daß dieſe es
fuͤr angenehmer hielt, uͤberhaupt aufzuhoͤren.
Jakobine ſprach laut, ohn' es zu merken, wei¬
ter: „man uͤberkommt dann Gefuͤhle, die nie¬
mand giebt, weder Freundin noch Freund:“

„Etwas leiſer, Vortrefliche, ums Himmels¬
willen leiſer — ſagte Walt, als ſie den lezten
Saz nach der Muſik geſagt — der General
ſchlaͤft gerade neben an und wacht. Wohl, wohl
iſt meiſtens fuͤr ein weibliches Herz eine Freundin
zu unmaͤnnlich und ein Freund zu unweiblich.“ —
Sie ſprach ſo leiſe als er's haben wollte, und
faſte ihn an der Hand mit beiden Haͤnden an,
wodurch die dicke plumpe Serviette, die ſie bis¬
her mit den Fingern wie mit Nadeln zugehal¬
ten, aus einander fiel. Er erfuhr, was Hoͤllen¬
angſt iſt; denn das leiſere Sprechen und Bei¬
ſammenſtehen, wuſt' er, konnt' ihn ja jede Mi¬
nute, wenn die Thuͤre aufgieng, bei der Welt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0202" n="194"/>
um) u&#x0364;ber den Hals &#x017F;chlage, um nur ans Fen¬<lb/>
&#x017F;ter zu kommen und zu ho&#x0364;ren.</p><lb/>
        <p>Unter die&#x017F;er Rede hatte eine fremde Flo&#x0364;te<lb/>
&#x017F;o na&#x0364;rri&#x017F;ch mit feindlichen To&#x0364;nen durch die<lb/>
Nachtmu&#x017F;ik gegriffen und ge&#x017F;chrien, daß die&#x017F;e es<lb/>
fu&#x0364;r angenehmer hielt, u&#x0364;berhaupt aufzuho&#x0364;ren.<lb/>
Jakobine &#x017F;prach laut, ohn' es zu merken, wei¬<lb/>
ter: &#x201E;man u&#x0364;berkommt dann Gefu&#x0364;hle, die nie¬<lb/>
mand giebt, weder Freundin noch Freund:&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Etwas lei&#x017F;er, Vortrefliche, ums Himmels¬<lb/>
willen lei&#x017F;er &#x2014; &#x017F;agte Walt, als &#x017F;ie den lezten<lb/>
Saz <hi rendition="#g">nach</hi> der Mu&#x017F;ik ge&#x017F;agt &#x2014; der General<lb/>
&#x017F;chla&#x0364;ft gerade neben an und wacht. Wohl, wohl<lb/>
i&#x017F;t mei&#x017F;tens fu&#x0364;r ein weibliches Herz eine Freundin<lb/>
zu unma&#x0364;nnlich und ein Freund zu unweiblich.&#x201C; &#x2014;<lb/>
Sie &#x017F;prach &#x017F;o lei&#x017F;e als er's haben wollte, und<lb/>
fa&#x017F;te ihn an der Hand mit beiden Ha&#x0364;nden an,<lb/>
wodurch die dicke plumpe Serviette, die &#x017F;ie bis¬<lb/>
her mit den Fingern wie mit Nadeln zugehal¬<lb/>
ten, aus einander fiel. Er erfuhr, was Ho&#x0364;llen¬<lb/>
ang&#x017F;t i&#x017F;t; denn das lei&#x017F;ere Sprechen und Bei¬<lb/>
&#x017F;ammen&#x017F;tehen, wu&#x017F;t' er, konnt' ihn ja jede Mi¬<lb/>
nute, wenn die Thu&#x0364;re aufgieng, bei der Welt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0202] um) uͤber den Hals ſchlage, um nur ans Fen¬ ſter zu kommen und zu hoͤren. Unter dieſer Rede hatte eine fremde Floͤte ſo naͤrriſch mit feindlichen Toͤnen durch die Nachtmuſik gegriffen und geſchrien, daß dieſe es fuͤr angenehmer hielt, uͤberhaupt aufzuhoͤren. Jakobine ſprach laut, ohn' es zu merken, wei¬ ter: „man uͤberkommt dann Gefuͤhle, die nie¬ mand giebt, weder Freundin noch Freund:“ „Etwas leiſer, Vortrefliche, ums Himmels¬ willen leiſer — ſagte Walt, als ſie den lezten Saz nach der Muſik geſagt — der General ſchlaͤft gerade neben an und wacht. Wohl, wohl iſt meiſtens fuͤr ein weibliches Herz eine Freundin zu unmaͤnnlich und ein Freund zu unweiblich.“ — Sie ſprach ſo leiſe als er's haben wollte, und faſte ihn an der Hand mit beiden Haͤnden an, wodurch die dicke plumpe Serviette, die ſie bis¬ her mit den Fingern wie mit Nadeln zugehal¬ ten, aus einander fiel. Er erfuhr, was Hoͤllen¬ angſt iſt; denn das leiſere Sprechen und Bei¬ ſammenſtehen, wuſt' er, konnt' ihn ja jede Mi¬ nute, wenn die Thuͤre aufgieng, bei der Welt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/202
Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/202>, abgerufen am 15.05.2024.