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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

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niemals aus den Augen zu verlieren, welche bald
aus Blumenkelchen, bald aus Wolken auf Ge¬
bürgen trinken wollten. -- Ein Glück ist's für den
gegenwärtigen Beschreiber der Reise und des Rei¬
senden, daß Walt selber für sein und des Flö¬
tenisten Vergnügen ein so umständliches Tage-
oder Sekunden-Buch seiner Reise gleichsam als
ein Opfer- und Sublimier-Gefäß des Lebens
vollgefüllt, daß ein anderer weiter nichts zu
thun braucht, als den Deckel diesem Zucker- und
Mutterfasse auszuschlagen und alles in sein Din¬
tenfaß einzulassen für jeden, der trinken will.
Der leidende Mensch hat einen Erfreueten nöthig
-- der Erfreuete in der Wirklichkeit einen in der
Poesie -- und dieser, wie Walt, verdoppelt sich
wieder, wenn er sich beschreibt.

"Fast wollt' ich hoffen, so fängt Walt das
Sekunden- und Terzienbuch an Vult an, daß
mein liebes Brüderlein mich nicht auslachen wer¬
de, wenn ich meine unbedeutende Reise nicht so
wohl in deutsche Meilen als russische Werste ab¬
theile, welche als bloße Viertelstunden freilich
sehr kurz sind, aber doch nicht zu kurz, ich mei

niemals aus den Augen zu verlieren, welche bald
aus Blumenkelchen, bald aus Wolken auf Ge¬
buͤrgen trinken wollten. — Ein Gluͤck iſt's fuͤr den
gegenwaͤrtigen Beſchreiber der Reiſe und des Rei¬
ſenden, daß Walt ſelber fuͤr ſein und des Floͤ¬
teniſten Vergnuͤgen ein ſo umſtaͤndliches Tage-
oder Sekunden-Buch ſeiner Reiſe gleichſam als
ein Opfer- und Sublimier-Gefaͤß des Lebens
vollgefuͤllt, daß ein anderer weiter nichts zu
thun braucht, als den Deckel dieſem Zucker- und
Mutterfaſſe auszuſchlagen und alles in ſein Din¬
tenfaß einzulaſſen fuͤr jeden, der trinken will.
Der leidende Menſch hat einen Erfreueten noͤthig
— der Erfreuete in der Wirklichkeit einen in der
Poeſie — und dieſer, wie Walt, verdoppelt ſich
wieder, wenn er ſich beſchreibt.

„Faſt wollt' ich hoffen, ſo faͤngt Walt das
Sekunden- und Terzienbuch an Vult an, daß
mein liebes Bruͤderlein mich nicht auslachen wer¬
de, wenn ich meine unbedeutende Reiſe nicht ſo
wohl in deutſche Meilen als ruſſiſche Werſte ab¬
theile, welche als bloße Viertelſtunden freilich
ſehr kurz ſind, aber doch nicht zu kurz, ich mei

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[72/0080] niemals aus den Augen zu verlieren, welche bald aus Blumenkelchen, bald aus Wolken auf Ge¬ buͤrgen trinken wollten. — Ein Gluͤck iſt's fuͤr den gegenwaͤrtigen Beſchreiber der Reiſe und des Rei¬ ſenden, daß Walt ſelber fuͤr ſein und des Floͤ¬ teniſten Vergnuͤgen ein ſo umſtaͤndliches Tage- oder Sekunden-Buch ſeiner Reiſe gleichſam als ein Opfer- und Sublimier-Gefaͤß des Lebens vollgefuͤllt, daß ein anderer weiter nichts zu thun braucht, als den Deckel dieſem Zucker- und Mutterfaſſe auszuſchlagen und alles in ſein Din¬ tenfaß einzulaſſen fuͤr jeden, der trinken will. Der leidende Menſch hat einen Erfreueten noͤthig — der Erfreuete in der Wirklichkeit einen in der Poeſie — und dieſer, wie Walt, verdoppelt ſich wieder, wenn er ſich beſchreibt. „Faſt wollt' ich hoffen, ſo faͤngt Walt das Sekunden- und Terzienbuch an Vult an, daß mein liebes Bruͤderlein mich nicht auslachen wer¬ de, wenn ich meine unbedeutende Reiſe nicht ſo wohl in deutſche Meilen als ruſſiſche Werſte ab¬ theile, welche als bloße Viertelſtunden freilich ſehr kurz ſind, aber doch nicht zu kurz, ich mei

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/80>, abgerufen am 24.11.2024.