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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

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untergestellten Stecken auflehnend, die sie vorher als
Badinen getragen. Sein Herz machte viel dar¬
aus, daß sie, wie Protestanten und Katholiken
in Wezlar, ihre Ferien und Feiertage des Gehens
gemeinschaftlich abthaten, um beisammen zu blei¬
ben und fort zu reden. Nie entwischte seinem
Auge die kleinste Handvoll Federn oder Heu, wo¬
mit sich der Arme die harte Pritsche in der Wacht¬
stube seines Lebens etwas weicher bettet und sich
die Marterbank auspolstert. Ein liebender Geist
spüret gern die Freuden der Armen aus, um dar¬
über eine zu haben; ein hassender aber lieber die
Plagen, seltener um sie zu heben, als um über
die Reichen zu bellen, die er vielleicht selber ver¬
mehrt.

Herzlich gern wollt' er den Fracht- und Kreuz¬
trägerinnen einige Groschen Trage-Lohn auszah¬
len; er schämte sich aber vor so vielen Zeugen ei¬
ner warmen That. Darauf schob ein Mann ei¬
nen Karren voll hoher klappernder Blechwaaren
daher; sein Töchtergen war als Vorspann vorge¬
legt; beide keuchten stark. Es zwang ihn, sich
mit dem Karrenschieber zusammen zu halten und

untergeſtellten Stecken auflehnend, die ſie vorher als
Badinen getragen. Sein Herz machte viel dar¬
aus, daß ſie, wie Proteſtanten und Katholiken
in Wezlar, ihre Ferien und Feiertage des Gehens
gemeinſchaftlich abthaten, um beiſammen zu blei¬
ben und fort zu reden. Nie entwiſchte ſeinem
Auge die kleinſte Handvoll Federn oder Heu, wo¬
mit ſich der Arme die harte Pritſche in der Wacht¬
ſtube ſeines Lebens etwas weicher bettet und ſich
die Marterbank auspolſtert. Ein liebender Geiſt
ſpuͤret gern die Freuden der Armen aus, um dar¬
uͤber eine zu haben; ein haſſender aber lieber die
Plagen, ſeltener um ſie zu heben, als um uͤber
die Reichen zu bellen, die er vielleicht ſelber ver¬
mehrt.

Herzlich gern wollt' er den Fracht- und Kreuz¬
traͤgerinnen einige Groſchen Trage-Lohn auszah¬
len; er ſchaͤmte ſich aber vor ſo vielen Zeugen ei¬
ner warmen That. Darauf ſchob ein Mann ei¬
nen Karren voll hoher klappernder Blechwaaren
daher; ſein Toͤchtergen war als Vorſpann vorge¬
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[76/0084] untergeſtellten Stecken auflehnend, die ſie vorher als Badinen getragen. Sein Herz machte viel dar¬ aus, daß ſie, wie Proteſtanten und Katholiken in Wezlar, ihre Ferien und Feiertage des Gehens gemeinſchaftlich abthaten, um beiſammen zu blei¬ ben und fort zu reden. Nie entwiſchte ſeinem Auge die kleinſte Handvoll Federn oder Heu, wo¬ mit ſich der Arme die harte Pritſche in der Wacht¬ ſtube ſeines Lebens etwas weicher bettet und ſich die Marterbank auspolſtert. Ein liebender Geiſt ſpuͤret gern die Freuden der Armen aus, um dar¬ uͤber eine zu haben; ein haſſender aber lieber die Plagen, ſeltener um ſie zu heben, als um uͤber die Reichen zu bellen, die er vielleicht ſelber ver¬ mehrt. Herzlich gern wollt' er den Fracht- und Kreuz¬ traͤgerinnen einige Groſchen Trage-Lohn auszah¬ len; er ſchaͤmte ſich aber vor ſo vielen Zeugen ei¬ ner warmen That. Darauf ſchob ein Mann ei¬ nen Karren voll hoher klappernder Blechwaaren daher; ſein Toͤchtergen war als Vorſpann vorge¬ legt; beide keuchten ſtark. Es zwang ihn, ſich mit dem Karrenſchieber zuſammen zu halten und

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/84>, abgerufen am 16.05.2024.