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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

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dem ersten Drilling Brod zulangte, damit er
wieder davon furchtsam eine Ziege unter dem Fen¬
ster abknuppern liesse -- und wie der zweite herz¬
haft in einen Apfel einbiß, ihn dem dritten zum
Beissen hinhielt, und wie beide ihn wechselnd an¬
bissen und reichten und jedesmal lächelten. "O
wär' ich nur ein wenig allmächtig und unendlich
-- dachte Walt -- ich wollte mir ein besonderes
Weltkügelgen schaffen und es unter die mildeste
Sonne hängen, ein Weltgen, worauf ich nichts
sezte, als lauter dergleichen liebe Kinderlein; und
die niedlichen Dinger ließ' ich gar nicht wachsen,
sondern ewig spielen. Ganz gewis, wenn ein
Seraph himmelssatt wäre oder sonst die goldnen
Flügel hängen liesse, könnt' ich ihn dadurch her¬
stellen, daß ich ihn einen Monat lang auf meine
springende jubelnde Kinderwelt herabschikte, und
kein Engel könnt', so lange er ihre Unschuld sähe,
seine eigene verlieren.

Endlich rükten die Kinder, einander an den
Händen zu führen befehligt, mit der Mutter aus,
zur Frau Pathin. Ein langer Tyroler mit grü¬
nem Hut, von welchem bunte Bänder flatterten.

dem erſten Drilling Brod zulangte, damit er
wieder davon furchtſam eine Ziege unter dem Fen¬
ſter abknuppern lieſſe — und wie der zweite herz¬
haft in einen Apfel einbiß, ihn dem dritten zum
Beiſſen hinhielt, und wie beide ihn wechſelnd an¬
biſſen und reichten und jedesmal laͤchelten. „O
waͤr' ich nur ein wenig allmaͤchtig und unendlich
— dachte Walt — ich wollte mir ein beſonderes
Weltkuͤgelgen ſchaffen und es unter die mildeſte
Sonne haͤngen, ein Weltgen, worauf ich nichts
ſezte, als lauter dergleichen liebe Kinderlein; und
die niedlichen Dinger ließ' ich gar nicht wachſen,
ſondern ewig ſpielen. Ganz gewis, wenn ein
Seraph himmelsſatt waͤre oder ſonſt die goldnen
Fluͤgel haͤngen lieſſe, koͤnnt' ich ihn dadurch her¬
ſtellen, daß ich ihn einen Monat lang auf meine
ſpringende jubelnde Kinderwelt herabſchikte, und
kein Engel koͤnnt', ſo lange er ihre Unſchuld ſaͤhe,
ſeine eigene verlieren.

Endlich ruͤkten die Kinder, einander an den
Haͤnden zu fuͤhren befehligt, mit der Mutter aus,
zur Frau Pathin. Ein langer Tyroler mit gruͤ¬
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[85/0093] dem erſten Drilling Brod zulangte, damit er wieder davon furchtſam eine Ziege unter dem Fen¬ ſter abknuppern lieſſe — und wie der zweite herz¬ haft in einen Apfel einbiß, ihn dem dritten zum Beiſſen hinhielt, und wie beide ihn wechſelnd an¬ biſſen und reichten und jedesmal laͤchelten. „O waͤr' ich nur ein wenig allmaͤchtig und unendlich — dachte Walt — ich wollte mir ein beſonderes Weltkuͤgelgen ſchaffen und es unter die mildeſte Sonne haͤngen, ein Weltgen, worauf ich nichts ſezte, als lauter dergleichen liebe Kinderlein; und die niedlichen Dinger ließ' ich gar nicht wachſen, ſondern ewig ſpielen. Ganz gewis, wenn ein Seraph himmelsſatt waͤre oder ſonſt die goldnen Fluͤgel haͤngen lieſſe, koͤnnt' ich ihn dadurch her¬ ſtellen, daß ich ihn einen Monat lang auf meine ſpringende jubelnde Kinderwelt herabſchikte, und kein Engel koͤnnt', ſo lange er ihre Unſchuld ſaͤhe, ſeine eigene verlieren. Endlich ruͤkten die Kinder, einander an den Haͤnden zu fuͤhren befehligt, mit der Mutter aus, zur Frau Pathin. Ein langer Tyroler mit gruͤ¬ nem Hut, von welchem bunte Baͤnder flatterten.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/93>, abgerufen am 21.11.2024.