Der Notarius konnte eine ganze Nacht lang weder schlafen, noch seinen Bruder lieben; son¬ dern der Zorn war sein Traum, und das nächt¬ liche Aufthürmen zankender Gründe erhitzte ihn zu¬ letzt dermassen, daß er, wenn Vult sich an dessen Bett gewagt hätte, vielleicht fähig gewesen wäre, ihm zu sagen: "ich rede nun anders mit dir, Bruder; "setze dich aber nicht aufs scharfe Bettbret, son¬ "dern mehr auf die Kissen herein!" -- Unbegreif¬ lich und unverzeihlich fand er dessen Kraft, Men¬ schen ins Gesicht hinein zu martern, den armen Flitte und ihn selber. Schon öfters hatt' er bei der Weltgeschichte versucht, in jene mächtigen Schnee- und Gletscher-Männer, welche mitten unter dem Hasse eines ganzen Hofs und Volks heiter glänzen und gedeihen, sich so gut poetisch zu versetzen als in andere Karaktere; aber es hatte nie besondern Erfolg -- er wäre eben so gut einer Statue durch den Mund ins Herz gekrochen. Ihm griff schon ein Menschen-Antlitz in die Seele und wär' es punktirt an der Puppe eines Nachtschmet¬
Nro. 55. Pfefferfraß.
Leiden des jungen Walts. — Einquartirung.
Der Notarius konnte eine ganze Nacht lang weder ſchlafen, noch ſeinen Bruder lieben; ſon¬ dern der Zorn war ſein Traum, und das naͤcht¬ liche Aufthuͤrmen zankender Gruͤnde erhitzte ihn zu¬ letzt dermaſſen, daß er, wenn Vult ſich an deſſen Bett gewagt haͤtte, vielleicht faͤhig geweſen waͤre, ihm zu ſagen: „ich rede nun anders mit dir, Bruder; „ſetze dich aber nicht aufs ſcharfe Bettbret, ſon¬ „dern mehr auf die Kiſſen herein!” — Unbegreif¬ lich und unverzeihlich fand er deſſen Kraft, Men¬ ſchen ins Geſicht hinein zu martern, den armen Flitte und ihn ſelber. Schon oͤfters hatt' er bei der Weltgeſchichte verſucht, in jene maͤchtigen Schnee- und Gletſcher-Maͤnner, welche mitten unter dem Haſſe eines ganzen Hofs und Volks heiter glaͤnzen und gedeihen, ſich ſo gut poetiſch zu verſetzen als in andere Karaktere; aber es hatte nie beſondern Erfolg — er waͤre eben ſo gut einer Statue durch den Mund ins Herz gekrochen. Ihm griff ſchon ein Menſchen-Antlitz in die Seele und waͤr' es punktirt an der Puppe eines Nachtſchmet¬
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Nro. 55. Pfefferfraß.
Leiden des jungen Walts. — Einquartirung.
Der Notarius konnte eine ganze Nacht lang
weder ſchlafen, noch ſeinen Bruder lieben; ſon¬
dern der Zorn war ſein Traum, und das naͤcht¬
liche Aufthuͤrmen zankender Gruͤnde erhitzte ihn zu¬
letzt dermaſſen, daß er, wenn Vult ſich an deſſen
Bett gewagt haͤtte, vielleicht faͤhig geweſen waͤre, ihm
zu ſagen: „ich rede nun anders mit dir, Bruder;
„ſetze dich aber nicht aufs ſcharfe Bettbret, ſon¬
„dern mehr auf die Kiſſen herein!” — Unbegreif¬
lich und unverzeihlich fand er deſſen Kraft, Men¬
ſchen ins Geſicht hinein zu martern, den armen
Flitte und ihn ſelber. Schon oͤfters hatt' er bei
der Weltgeſchichte verſucht, in jene maͤchtigen
Schnee- und Gletſcher-Maͤnner, welche mitten
unter dem Haſſe eines ganzen Hofs und Volks
heiter glaͤnzen und gedeihen, ſich ſo gut poetiſch
zu verſetzen als in andere Karaktere; aber es hatte
nie beſondern Erfolg — er waͤre eben ſo gut einer
Statue durch den Mund ins Herz gekrochen. Ihm
griff ſchon ein Menſchen-Antlitz in die Seele und
waͤr' es punktirt an der Puppe eines Nachtſchmet¬
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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/106>, abgerufen am 24.11.2024.
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