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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

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nah' am Fenster stehen. Als wieder ein langer
Wolkenschatte die Gasse heraufflog: schritt er
quer über und guckte hinauf, und sah hinter dem er¬
leuchteten Notenpulte das so lange begehrte Ge¬
sicht; und weinte bitter. Er ging an ein großes
rothes Thor seitwärts, worauf Vults Schatten¬
riß, aber gräulich aus einander gezogen wie ein
angenagelter Raubvogel hing und küßte etwas
vom Schatten, aber mit einiger Mühe, weil sein
eigner viel verdeckte.

Gern wär' er jetzt zu ihm hinauf gegangen
mit der alten Bruder-Brust an sein Herz; aber er
sagte: "blies' ich selber droben, o so weiß ich al¬
les wohl -- nein es gäbe für mich kein fremdes
Herz; aber er ist fast immer das Widerspiel seines
Spiels und oft fast hart, wenn er sehr weich da¬
hin flötet. -- Ich will ihn in seiner Geister-Lust
nicht stören, sondern lieber manches zu Papier
bringen und morgen schicken."

Er thats zu Hause, die Flötentöne des Bru¬
ders fielen schön in das Rauschen seiner Gefühle
ein -- er versiegelte einen geistigen Sturm. Er
legte dem Sturm zwei Polymeter über den Tropf¬

nah' am Fenſter ſtehen. Als wieder ein langer
Wolkenſchatte die Gaſſe heraufflog: ſchritt er
quer uͤber und guckte hinauf, und ſah hinter dem er¬
leuchteten Notenpulte das ſo lange begehrte Ge¬
ſicht; und weinte bitter. Er ging an ein großes
rothes Thor ſeitwaͤrts, worauf Vults Schatten¬
riß, aber graͤulich aus einander gezogen wie ein
angenagelter Raubvogel hing und kuͤßte etwas
vom Schatten, aber mit einiger Muͤhe, weil ſein
eigner viel verdeckte.

Gern waͤr' er jetzt zu ihm hinauf gegangen
mit der alten Bruder-Bruſt an ſein Herz; aber er
ſagte: „blieſ' ich ſelber droben, o ſo weiß ich al¬
les wohl — nein es gaͤbe fuͤr mich kein fremdes
Herz; aber er iſt faſt immer das Widerſpiel ſeines
Spiels und oft faſt hart, wenn er ſehr weich da¬
hin floͤtet. — Ich will ihn in ſeiner Geiſter-Luſt
nicht ſtoͤren, ſondern lieber manches zu Papier
bringen und morgen ſchicken.”

Er thats zu Hauſe, die Floͤtentoͤne des Bru¬
ders fielen ſchoͤn in das Rauſchen ſeiner Gefuͤhle
ein — er verſiegelte einen geiſtigen Sturm. Er
legte dem Sturm zwei Polymeter uͤber den Tropf¬

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[110/0116] nah' am Fenſter ſtehen. Als wieder ein langer Wolkenſchatte die Gaſſe heraufflog: ſchritt er quer uͤber und guckte hinauf, und ſah hinter dem er¬ leuchteten Notenpulte das ſo lange begehrte Ge¬ ſicht; und weinte bitter. Er ging an ein großes rothes Thor ſeitwaͤrts, worauf Vults Schatten¬ riß, aber graͤulich aus einander gezogen wie ein angenagelter Raubvogel hing und kuͤßte etwas vom Schatten, aber mit einiger Muͤhe, weil ſein eigner viel verdeckte. Gern waͤr' er jetzt zu ihm hinauf gegangen mit der alten Bruder-Bruſt an ſein Herz; aber er ſagte: „blieſ' ich ſelber droben, o ſo weiß ich al¬ les wohl — nein es gaͤbe fuͤr mich kein fremdes Herz; aber er iſt faſt immer das Widerſpiel ſeines Spiels und oft faſt hart, wenn er ſehr weich da¬ hin floͤtet. — Ich will ihn in ſeiner Geiſter-Luſt nicht ſtoͤren, ſondern lieber manches zu Papier bringen und morgen ſchicken.” Er thats zu Hauſe, die Floͤtentoͤne des Bru¬ ders fielen ſchoͤn in das Rauſchen ſeiner Gefuͤhle ein — er verſiegelte einen geiſtigen Sturm. Er legte dem Sturm zwei Polymeter uͤber den Tropf¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/116>, abgerufen am 23.11.2024.