Am Morgen darauf sprach Walt von seinen schönen Aussichten auf die flötende Nachtigallen- Dämmerung. Etwas mühsam wurde Vult zu einer neuen Wiederschöpfung des melodischen Him¬ mels gebracht. Aber mit desto größerem Feuer erzählte darauf der Notar, wie glücklich er die dämmernde harmonische Hörzeit angewandt ha¬ be, nämlich zur Verfertigung einer Replik und eines Streckverses im Roman; der Held sei, -- hab' er unter der Flöte gedichtet -- getadelt wor¬ den, daß er über das Wort einer alten, kranken, dummen Frau, welche ihn für seine Gaben an jedem Abend in ihr Gebet eifrig einzuschliessen versprochen, sich innigst erfreuet, allein der Held habe versetzt: nicht ihres Gebetes Wirkung auf ihn wäre ihm etwas, sogar wenn diese gewiß wä¬ re, sondern die auf sie selber, daß ein so frieren¬ des Wesen doch jeden Abend in eine schöne Erhe¬ bung und Erwärmung gelange. "Ist das kein wahrer Zug von mir, Vult?"
"Es ist ein wahrer von dir (sagte Vult). In der Kunst wird, wie vor der Sonne, nur das Heu warm, nicht die lebendigen Blumen."
Am Morgen darauf ſprach Walt von ſeinen ſchoͤnen Ausſichten auf die floͤtende Nachtigallen- Daͤmmerung. Etwas muͤhſam wurde Vult zu einer neuen Wiederſchoͤpfung des melodiſchen Him¬ mels gebracht. Aber mit deſto groͤßerem Feuer erzaͤhlte darauf der Notar, wie gluͤcklich er die daͤmmernde harmoniſche Hoͤrzeit angewandt ha¬ be, naͤmlich zur Verfertigung einer Replik und eines Streckverſes im Roman; der Held ſei, — hab' er unter der Floͤte gedichtet — getadelt wor¬ den, daß er uͤber das Wort einer alten, kranken, dummen Frau, welche ihn fuͤr ſeine Gaben an jedem Abend in ihr Gebet eifrig einzuſchlieſſen verſprochen, ſich innigſt erfreuet, allein der Held habe verſetzt: nicht ihres Gebetes Wirkung auf ihn waͤre ihm etwas, ſogar wenn dieſe gewiß waͤ¬ re, ſondern die auf ſie ſelber, daß ein ſo frieren¬ des Weſen doch jeden Abend in eine ſchoͤne Erhe¬ bung und Erwaͤrmung gelange. „Iſt das kein wahrer Zug von mir, Vult?“
„Es iſt ein wahrer von dir (ſagte Vult). In der Kunſt wird, wie vor der Sonne, nur das Heu warm, nicht die lebendigen Blumen.“
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0161"n="155"/><p>Am Morgen darauf ſprach Walt von ſeinen<lb/>ſchoͤnen Ausſichten auf die floͤtende Nachtigallen-<lb/>
Daͤmmerung. Etwas muͤhſam wurde Vult zu<lb/>
einer neuen Wiederſchoͤpfung des melodiſchen Him¬<lb/>
mels gebracht. Aber mit deſto groͤßerem Feuer<lb/>
erzaͤhlte darauf der Notar, wie gluͤcklich er die<lb/>
daͤmmernde harmoniſche Hoͤrzeit angewandt ha¬<lb/>
be, naͤmlich zur Verfertigung einer Replik und<lb/>
eines Streckverſes im Roman; der Held ſei, —<lb/>
hab' er unter der Floͤte gedichtet — getadelt wor¬<lb/>
den, daß er uͤber das Wort einer alten, kranken,<lb/>
dummen Frau, welche ihn fuͤr ſeine Gaben an<lb/>
jedem Abend in ihr Gebet eifrig einzuſchlieſſen<lb/>
verſprochen, ſich innigſt erfreuet, allein der Held<lb/>
habe verſetzt: nicht ihres Gebetes Wirkung auf<lb/>
ihn waͤre ihm etwas, ſogar wenn dieſe gewiß waͤ¬<lb/>
re, ſondern die auf ſie ſelber, daß ein ſo frieren¬<lb/>
des Weſen doch jeden Abend in eine ſchoͤne Erhe¬<lb/>
bung und Erwaͤrmung gelange. „Iſt das kein<lb/>
wahrer Zug von mir, Vult?“</p><lb/><p>„Es iſt ein wahrer von dir (ſagte Vult).<lb/>
In der Kunſt wird, wie vor der Sonne, nur<lb/>
das Heu warm, nicht die lebendigen Blumen.“<lb/></p></div></body></text></TEI>
[155/0161]
Am Morgen darauf ſprach Walt von ſeinen
ſchoͤnen Ausſichten auf die floͤtende Nachtigallen-
Daͤmmerung. Etwas muͤhſam wurde Vult zu
einer neuen Wiederſchoͤpfung des melodiſchen Him¬
mels gebracht. Aber mit deſto groͤßerem Feuer
erzaͤhlte darauf der Notar, wie gluͤcklich er die
daͤmmernde harmoniſche Hoͤrzeit angewandt ha¬
be, naͤmlich zur Verfertigung einer Replik und
eines Streckverſes im Roman; der Held ſei, —
hab' er unter der Floͤte gedichtet — getadelt wor¬
den, daß er uͤber das Wort einer alten, kranken,
dummen Frau, welche ihn fuͤr ſeine Gaben an
jedem Abend in ihr Gebet eifrig einzuſchlieſſen
verſprochen, ſich innigſt erfreuet, allein der Held
habe verſetzt: nicht ihres Gebetes Wirkung auf
ihn waͤre ihm etwas, ſogar wenn dieſe gewiß waͤ¬
re, ſondern die auf ſie ſelber, daß ein ſo frieren¬
des Weſen doch jeden Abend in eine ſchoͤne Erhe¬
bung und Erwaͤrmung gelange. „Iſt das kein
wahrer Zug von mir, Vult?“
„Es iſt ein wahrer von dir (ſagte Vult).
In der Kunſt wird, wie vor der Sonne, nur
das Heu warm, nicht die lebendigen Blumen.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/161>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.