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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

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möchte wohl Tage lang über die kleinen Frühlings¬
blümchen der ersten Lebenszeit reden und hören.
Im Alter, wo man ohnehin ein zweites Kind ist,
dürfte man sich gewiß erlauben, ein erstes zu
seyn und lange zurückzuschauen ins Lebens-Früh¬
roth hinein. Dir offenbar' ichs gern, daß ich mir
höhere Wesen, z. B. Engel ordentlich weniger se¬
lig aus Mangel an Kindheit denken kann, wie¬
wohl Gott vielleicht keinem Wesen irgend eine
Kindheits- oder Vergißmeinnichts-Zeit mag ab¬
geschlagen haben, da sogar Jesus selber ein Kind
war bei seiner Geburt. Besteht denn nicht das
gute Kinderleben nur aus Lust und Hoffnung,
Bruder, und die Frühregen der Thränen fliegen
darüber nur flüchtig hin?"

"Früh-Regen und alter Weiber Tänze
und so weiter -- nämlich junge Noth und alte
Lust und so weiter. Fall' ich noch in den Zeit-
Punkt deiner versus memoriales?" sagte Vult.

"Wahrlich, stets hob ich in Leipzig und hier
nur Tage dazu heraus, wo du noch nicht mit
dem Musikus entlaufen warst."

"So erinnere dich deines heutigen Erinnerns

moͤchte wohl Tage lang uͤber die kleinen Fruͤhlings¬
bluͤmchen der erſten Lebenszeit reden und hoͤren.
Im Alter, wo man ohnehin ein zweites Kind iſt,
duͤrfte man ſich gewiß erlauben, ein erſtes zu
ſeyn und lange zuruͤckzuſchauen ins Lebens-Fruͤh¬
roth hinein. Dir offenbar' ichs gern, daß ich mir
hoͤhere Weſen, z. B. Engel ordentlich weniger ſe¬
lig aus Mangel an Kindheit denken kann, wie¬
wohl Gott vielleicht keinem Weſen irgend eine
Kindheits- oder Vergißmeinnichts-Zeit mag ab¬
geſchlagen haben, da ſogar Jeſus ſelber ein Kind
war bei ſeiner Geburt. Beſteht denn nicht das
gute Kinderleben nur aus Luſt und Hoffnung,
Bruder, und die Fruͤhregen der Thraͤnen fliegen
daruͤber nur fluͤchtig hin?“

„Fruͤh-Regen und alter Weiber Taͤnze
und ſo weiter — naͤmlich junge Noth und alte
Luſt und ſo weiter. Fall' ich noch in den Zeit-
Punkt deiner versus memoriales?“ ſagte Vult.

„Wahrlich, ſtets hob ich in Leipzig und hier
nur Tage dazu heraus, wo du noch nicht mit
dem Muſikus entlaufen warſt.“

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[167/0173] moͤchte wohl Tage lang uͤber die kleinen Fruͤhlings¬ bluͤmchen der erſten Lebenszeit reden und hoͤren. Im Alter, wo man ohnehin ein zweites Kind iſt, duͤrfte man ſich gewiß erlauben, ein erſtes zu ſeyn und lange zuruͤckzuſchauen ins Lebens-Fruͤh¬ roth hinein. Dir offenbar' ichs gern, daß ich mir hoͤhere Weſen, z. B. Engel ordentlich weniger ſe¬ lig aus Mangel an Kindheit denken kann, wie¬ wohl Gott vielleicht keinem Weſen irgend eine Kindheits- oder Vergißmeinnichts-Zeit mag ab¬ geſchlagen haben, da ſogar Jeſus ſelber ein Kind war bei ſeiner Geburt. Beſteht denn nicht das gute Kinderleben nur aus Luſt und Hoffnung, Bruder, und die Fruͤhregen der Thraͤnen fliegen daruͤber nur fluͤchtig hin?“ „Fruͤh-Regen und alter Weiber Taͤnze und ſo weiter — naͤmlich junge Noth und alte Luſt und ſo weiter. Fall' ich noch in den Zeit- Punkt deiner versus memoriales?“ ſagte Vult. „Wahrlich, ſtets hob ich in Leipzig und hier nur Tage dazu heraus, wo du noch nicht mit dem Muſikus entlaufen warſt.“ „So erinnere dich deines heutigen Erinnerns

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/173>, abgerufen am 26.11.2024.