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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

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"Ich könnte ihn wohl von der Faßnacht an¬
heben, wo der neu erstandene Frühling lauter Son¬
nenstrahlen in die Schulstube voll kleiner geputzter
Tänzer streuet, so daß es in den Seelen früher
blühte als in den Gärten. Schon der alte simple
Vers: "Zur Lichtmeß essen die Herrn am Tag',
Zur Faßnacht thuns die Bauern auch nach," zog
Abendröthe und Blütenschatten um den Abendtisch.
Gott, wie wehen noch die Namen: Marientage,
Salatzeit, Kirschenblüte, Rosenblüte, die Brust
voll Zauberduft! -- So denk' ich mir auch die
Jugend meines Vaters blos als einen ununter¬
brochenen Sommer, besonders in der Fremde; so
wie ich meinen Großvater und überhaupt die zu¬
rückliegende Zeit vor meiner Geburt immer jung
und blühend sehe. Da gab's schöne Menschentage,
sagt man sich. Wie frisch und hell springend,
gleich Frühlingsbächen, kommen mir die alten Uni¬
versitäten, Bologna und Padua, vor mit ihren
ungemessenen Freiheiten, und ich wünschte mich
oft in diese hinein!"

"Macht' ich weniger aus dir, so müßt' ich
bei deinem Wunsche denken, es wäre damals aus¬

„Ich koͤnnte ihn wohl von der Faßnacht an¬
heben, wo der neu erſtandene Fruͤhling lauter Son¬
nenſtrahlen in die Schulſtube voll kleiner geputzter
Taͤnzer ſtreuet, ſo daß es in den Seelen fruͤher
bluͤhte als in den Gaͤrten. Schon der alte ſimple
Vers: „Zur Lichtmeß eſſen die Herrn am Tag',
Zur Faßnacht thuns die Bauern auch nach,“ zog
Abendroͤthe und Bluͤtenſchatten um den Abendtiſch.
Gott, wie wehen noch die Namen: Marientage,
Salatzeit, Kirſchenbluͤte, Roſenbluͤte, die Bruſt
voll Zauberduft! — So denk' ich mir auch die
Jugend meines Vaters blos als einen ununter¬
brochenen Sommer, beſonders in der Fremde; ſo
wie ich meinen Großvater und uͤberhaupt die zu¬
ruͤckliegende Zeit vor meiner Geburt immer jung
und bluͤhend ſehe. Da gab's ſchoͤne Menſchentage,
ſagt man ſich. Wie friſch und hell ſpringend,
gleich Fruͤhlingsbaͤchen, kommen mir die alten Uni¬
verſitaͤten, Bologna und Padua, vor mit ihren
ungemeſſenen Freiheiten, und ich wuͤnſchte mich
oft in dieſe hinein!“

„Macht' ich weniger aus dir, ſo muͤßt' ich
bei deinem Wunſche denken, es waͤre damals auſ¬

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[180/0186] „Ich koͤnnte ihn wohl von der Faßnacht an¬ heben, wo der neu erſtandene Fruͤhling lauter Son¬ nenſtrahlen in die Schulſtube voll kleiner geputzter Taͤnzer ſtreuet, ſo daß es in den Seelen fruͤher bluͤhte als in den Gaͤrten. Schon der alte ſimple Vers: „Zur Lichtmeß eſſen die Herrn am Tag', Zur Faßnacht thuns die Bauern auch nach,“ zog Abendroͤthe und Bluͤtenſchatten um den Abendtiſch. Gott, wie wehen noch die Namen: Marientage, Salatzeit, Kirſchenbluͤte, Roſenbluͤte, die Bruſt voll Zauberduft! — So denk' ich mir auch die Jugend meines Vaters blos als einen ununter¬ brochenen Sommer, beſonders in der Fremde; ſo wie ich meinen Großvater und uͤberhaupt die zu¬ ruͤckliegende Zeit vor meiner Geburt immer jung und bluͤhend ſehe. Da gab's ſchoͤne Menſchentage, ſagt man ſich. Wie friſch und hell ſpringend, gleich Fruͤhlingsbaͤchen, kommen mir die alten Uni¬ verſitaͤten, Bologna und Padua, vor mit ihren ungemeſſenen Freiheiten, und ich wuͤnſchte mich oft in dieſe hinein!“ „Macht' ich weniger aus dir, ſo muͤßt' ich bei deinem Wunſche denken, es waͤre damals auſ¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/186>, abgerufen am 27.11.2024.