entfernten Pseudo-Evangelisten zu stoßen. Im Gar¬ ten sties er darein. Er nahm die Hand, deren die Matthäische nicht würdig war, in seine bessere und fing mit der herzlichsten feinsten Schonung, die man sogar der wahren Freundschaft für einen unächten Freund gewähren muß, seinen Bildersturm an. Denn indem er die Kammerherrin tadelte, daß sie auf Agathen Blicke von ihrem Wipfel herunter würfe, die nichts reiners wären als was hie Affen vom ih¬ rigen auf die Leute schickten; indem er den Hofjun¬ ker tadelte, daß er wie viele Edelleute erst unter Edelleuten den kezerischen Geruch eines Roturiers am meisten (vielleicht durch Hülfe des Kontrastes) verspürte, und daß seine Worte und Minen im Schlosse wie Eisspitzen ans gute warme Herz Aga¬ thens anflögen: so war der Tadel dieses Maifrostes gegen die Schwester nur ein Vorwand, in den er die Anmerkung einhüllte, daß der Hofjunker Flamins Freund nicht seyn würde, wenn er nicht Agathens Liebhaber wäre. --
Flamins Schweigen (das Zeichen seiner Entrü stung) gab dem Strom seiner Beredsamkeit einen neuen schnellern Abhang; noch dazu rief eine im Le Bauts Garten phantasirende Nachtigal alle Echo der Liebe aus seiner Seele wach. Daher ergrif er frey¬ lich Flamins beyde Hände in jener Ueberwallung, die immer seine Schritte zum Ziele in Sprünge umsetzte und dadurch das ganze Ziel überrennte -- Viele
entfernten Pſeudo-Evangeliſten zu ſtoßen. Im Gar¬ ten ſties er darein. Er nahm die Hand, deren die Matthaͤiſche nicht wuͤrdig war, in ſeine beſſere und fing mit der herzlichſten feinſten Schonung, die man ſogar der wahren Freundſchaft fuͤr einen unaͤchten Freund gewaͤhren muß, ſeinen Bilderſturm an. Denn indem er die Kammerherrin tadelte, daß ſie auf Agathen Blicke von ihrem Wipfel herunter wuͤrfe, die nichts reiners waͤren als was hie Affen vom ih¬ rigen auf die Leute ſchickten; indem er den Hofjun¬ ker tadelte, daß er wie viele Edelleute erſt unter Edelleuten den kezeriſchen Geruch eines Roturiers am meiſten (vielleicht durch Huͤlfe des Kontraſtes) verſpuͤrte, und daß ſeine Worte und Minen im Schloſſe wie Eisſpitzen ans gute warme Herz Aga¬ thens anfloͤgen: ſo war der Tadel dieſes Maifroſtes gegen die Schweſter nur ein Vorwand, in den er die Anmerkung einhuͤllte, daß der Hofjunker Flamins Freund nicht ſeyn wuͤrde, wenn er nicht Agathens Liebhaber waͤre. —
Flamins Schweigen (das Zeichen ſeiner Entruͤ ſtung) gab dem Strom ſeiner Beredſamkeit einen neuen ſchnellern Abhang; noch dazu rief eine im Le Bauts Garten phantaſirende Nachtigal alle Echo der Liebe aus ſeiner Seele wach. Daher ergrif er frey¬ lich Flamins beyde Haͤnde in jener Ueberwallung, die immer ſeine Schritte zum Ziele in Spruͤnge umſetzte und dadurch das ganze Ziel uͤberrennte — Viele
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entfernten Pſeudo-Evangeliſten zu ſtoßen. Im Gar¬
ten ſties er darein. Er nahm die Hand, deren die
Matthaͤiſche nicht wuͤrdig war, in ſeine beſſere und
fing mit der herzlichſten feinſten Schonung, die man
ſogar der wahren Freundſchaft fuͤr einen unaͤchten
Freund gewaͤhren muß, ſeinen Bilderſturm an. Denn
indem er die Kammerherrin tadelte, daß ſie auf
Agathen Blicke von ihrem Wipfel herunter wuͤrfe,
die nichts reiners waͤren als was hie Affen vom ih¬
rigen auf die Leute ſchickten; indem er den Hofjun¬
ker tadelte, daß er wie viele Edelleute erſt unter
Edelleuten den kezeriſchen Geruch eines Roturiers
am meiſten (vielleicht durch Huͤlfe des Kontraſtes)
verſpuͤrte, und daß ſeine Worte und Minen im
Schloſſe wie Eisſpitzen ans gute warme Herz Aga¬
thens anfloͤgen: ſo war der Tadel dieſes Maifroſtes
gegen die Schweſter nur ein Vorwand, in den er die
Anmerkung einhuͤllte, daß der Hofjunker Flamins
Freund nicht ſeyn wuͤrde, wenn er nicht Agathens
Liebhaber waͤre. —
Flamins Schweigen (das Zeichen ſeiner Entruͤ
ſtung) gab dem Strom ſeiner Beredſamkeit einen
neuen ſchnellern Abhang; noch dazu rief eine im Le
Bauts Garten phantaſirende Nachtigal alle Echo der
Liebe aus ſeiner Seele wach. Daher ergrif er frey¬
lich Flamins beyde Haͤnde in jener Ueberwallung, die
immer ſeine Schritte zum Ziele in Spruͤnge umſetzte
und dadurch das ganze Ziel uͤberrennte — Viele
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/119>, abgerufen am 04.12.2024.
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