Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

der Philosophie, die beide sich wie Kometen
und Planeten um dieselbe Sonne (der Wahr¬
heit) bewegen und sich nur in der Figur ihres
Umlaufs unterscheiden, da Kometen und Dichter
blos die größere Ellypse haben. Seine Erzie¬
hung und Anlage hatte ihn an die dephlogistische
Luft der Studierstube gewöhnt, die noch das einzige
Dormitorium unserer Leidenschaften und das einzige
Profeß-Haus und der Glückshaven der Menschen
ist, die dem breiten Strudel der Sinne und Sitten
entgehen wollen. Die Wissenschaften sind mehr als
die Tugend ihr eigner Lohn und jene machen der
Glückseligkeit theilhaftig, diese nur würdig; und die
Preismedaillen, Pensionen und positiven Belohnun¬
gen und der Inventionsdank, die viele Gelehrte für
ihr Studiren haben wollen, gehören höchstens den
litterarischen dienenden Brüdern, die sich dabei ab¬
martern, aber nicht den Meistern vom Stuhle, die
sich dabei entzücken. Ein Gelehrter hat keine lange
Weile -- ein Thron-Insaß lässet sich gegen diese
Nervenschwindsucht hundert Festins verschreiben, Ge¬
sellschaftskavaliere, ganze Länder und Menschenblut.

Du lieber Himmel! ein Leser, der in Viktors
Sabbathswochen eine Leiter genommen hätte und an
sein Fenster gestiegen wäre: hätte der etwas anders
darin erblickt als ein jubilirendes Ding, das auf den
wissenschaftlichen Feldern wie unter seeligen Inseln

der Philoſophie, die beide ſich wie Kometen
und Planeten um dieſelbe Sonne (der Wahr¬
heit) bewegen und ſich nur in der Figur ihres
Umlaufs unterſcheiden, da Kometen und Dichter
blos die groͤßere Ellypſe haben. Seine Erzie¬
hung und Anlage hatte ihn an die dephlogiſtiſche
Luft der Studierſtube gewoͤhnt, die noch das einzige
Dormitorium unſerer Leidenſchaften und das einzige
Profeß-Haus und der Gluͤckshaven der Menſchen
iſt, die dem breiten Strudel der Sinne und Sitten
entgehen wollen. Die Wiſſenſchaften ſind mehr als
die Tugend ihr eigner Lohn und jene machen der
Gluͤckſeligkeit theilhaftig, dieſe nur wuͤrdig; und die
Preismedaillen, Penſionen und poſitiven Belohnun¬
gen und der Inventionsdank, die viele Gelehrte fuͤr
ihr Studiren haben wollen, gehoͤren hoͤchſtens den
litterariſchen dienenden Bruͤdern, die ſich dabei ab¬
martern, aber nicht den Meiſtern vom Stuhle, die
ſich dabei entzuͤcken. Ein Gelehrter hat keine lange
Weile — ein Thron-Inſaß laͤſſet ſich gegen dieſe
Nervenſchwindſucht hundert Feſtins verſchreiben, Ge¬
ſellſchaftskavaliere, ganze Laͤnder und Menſchenblut.

Du lieber Himmel! ein Leſer, der in Viktors
Sabbathswochen eine Leiter genommen haͤtte und an
ſein Fenſter geſtiegen waͤre: haͤtte der etwas anders
darin erblickt als ein jubilirendes Ding, das auf den
wiſſenſchaftlichen Feldern wie unter ſeeligen Inſeln

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0178" n="167"/>
der <hi rendition="#g">Philo&#x017F;ophie</hi>, die beide &#x017F;ich wie <hi rendition="#g">Kometen</hi><lb/>
und <hi rendition="#g">Planeten</hi> um <hi rendition="#g">die&#x017F;elbe Sonne</hi> (der Wahr¬<lb/>
heit) bewegen und &#x017F;ich nur in der <hi rendition="#g">Figur</hi> ihres<lb/>
Umlaufs unter&#x017F;cheiden, da Kometen und Dichter<lb/>
blos die <hi rendition="#g">gro&#x0364;ßere Ellyp&#x017F;e</hi> haben. Seine Erzie¬<lb/>
hung und Anlage hatte ihn an die dephlogi&#x017F;ti&#x017F;che<lb/>
Luft der Studier&#x017F;tube gewo&#x0364;hnt, die noch das einzige<lb/>
Dormitorium un&#x017F;erer Leiden&#x017F;chaften und das einzige<lb/>
Profeß-Haus und der Glu&#x0364;ckshaven der Men&#x017F;chen<lb/>
i&#x017F;t, die dem breiten Strudel der Sinne und Sitten<lb/>
entgehen wollen. Die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften &#x017F;ind mehr als<lb/>
die Tugend ihr eigner Lohn und jene machen der<lb/>
Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit theilhaftig, die&#x017F;e nur wu&#x0364;rdig; und die<lb/>
Preismedaillen, Pen&#x017F;ionen und po&#x017F;itiven Belohnun¬<lb/>
gen und der Inventionsdank, die viele Gelehrte fu&#x0364;r<lb/>
ihr Studiren haben wollen, geho&#x0364;ren ho&#x0364;ch&#x017F;tens den<lb/>
litterari&#x017F;chen dienenden Bru&#x0364;dern, die &#x017F;ich dabei ab¬<lb/>
martern, aber nicht den Mei&#x017F;tern vom Stuhle, die<lb/>
&#x017F;ich dabei entzu&#x0364;cken. Ein Gelehrter hat keine lange<lb/>
Weile &#x2014; ein Thron-In&#x017F;aß la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ich gegen die&#x017F;e<lb/>
Nerven&#x017F;chwind&#x017F;ucht hundert Fe&#x017F;tins ver&#x017F;chreiben, Ge¬<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chaftskavaliere, ganze La&#x0364;nder und Men&#x017F;chenblut.</p><lb/>
        <p>Du lieber Himmel! ein Le&#x017F;er, der in Viktors<lb/>
Sabbathswochen eine Leiter genommen ha&#x0364;tte und an<lb/>
&#x017F;ein Fen&#x017F;ter ge&#x017F;tiegen wa&#x0364;re: ha&#x0364;tte der etwas anders<lb/>
darin erblickt als ein jubilirendes Ding, das auf den<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Feldern wie unter &#x017F;eeligen In&#x017F;eln<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0178] der Philoſophie, die beide ſich wie Kometen und Planeten um dieſelbe Sonne (der Wahr¬ heit) bewegen und ſich nur in der Figur ihres Umlaufs unterſcheiden, da Kometen und Dichter blos die groͤßere Ellypſe haben. Seine Erzie¬ hung und Anlage hatte ihn an die dephlogiſtiſche Luft der Studierſtube gewoͤhnt, die noch das einzige Dormitorium unſerer Leidenſchaften und das einzige Profeß-Haus und der Gluͤckshaven der Menſchen iſt, die dem breiten Strudel der Sinne und Sitten entgehen wollen. Die Wiſſenſchaften ſind mehr als die Tugend ihr eigner Lohn und jene machen der Gluͤckſeligkeit theilhaftig, dieſe nur wuͤrdig; und die Preismedaillen, Penſionen und poſitiven Belohnun¬ gen und der Inventionsdank, die viele Gelehrte fuͤr ihr Studiren haben wollen, gehoͤren hoͤchſtens den litterariſchen dienenden Bruͤdern, die ſich dabei ab¬ martern, aber nicht den Meiſtern vom Stuhle, die ſich dabei entzuͤcken. Ein Gelehrter hat keine lange Weile — ein Thron-Inſaß laͤſſet ſich gegen dieſe Nervenſchwindſucht hundert Feſtins verſchreiben, Ge¬ ſellſchaftskavaliere, ganze Laͤnder und Menſchenblut. Du lieber Himmel! ein Leſer, der in Viktors Sabbathswochen eine Leiter genommen haͤtte und an ſein Fenſter geſtiegen waͤre: haͤtte der etwas anders darin erblickt als ein jubilirendes Ding, das auf den wiſſenſchaftlichen Feldern wie unter ſeeligen Inſeln

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/178
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/178>, abgerufen am 17.05.2024.