Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.zwingen. O ihr zwei guten Seelen! welche Quetsch¬ Wohin anders konnte sie jetzt ihr liebendes und zwingen. O ihr zwei guten Seelen! welche Quetſch¬ Wohin anders konnte ſie jetzt ihr liebendes und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0371" n="360"/> zwingen. O ihr zwei guten Seelen! welche Quetſch¬<lb/> wunden wird euer Herz noch von eurem großen<lb/> Freund empfangen.</p><lb/> <p>Wohin anders konnte ſie jetzt ihr liebendes und<lb/> trauerndes Auge als gegen ihren guten Bruder wen¬<lb/> den, gegen den ihr Betragen durch den doppelten<lb/> Zwang, den ihr ihre Verſchwiegenheit und ſeine<lb/> Auslegungen anlegten, bisher ſo unbeſchreiblich mild<lb/> geworden war? — Da nun Viktor jetzt das alles<lb/> mit ſo ganz andern Augen ſah; da er ſeinem armen<lb/> Freund, der mit ſeinem gegenwaͤrtigen Gluͤck viel¬<lb/> leicht die giftige Nahrung ſeiner kuͤnftigen Eifer¬<lb/> ſucht vergroͤßerte, offen und fixirend in das feſte An¬<lb/> geſicht ſchauete, das einſt ſchwere Tage zerreiſſen<lb/> konnten; da ihn uͤberhaupt <hi rendition="#g">kuͤnftige</hi> oder <hi rendition="#g">ver¬<lb/> gangne</hi> Leiden des andern mehr angriffen als <hi rendition="#g">ge¬<lb/> genwaͤrtige</hi>, weil ihn die Phantaſie mehr in der<lb/> Gewalt hatte als die Sinne: ſo konnt' er einen Au¬<lb/> genblick die Herrſchaft uͤber ſeine Augen nicht be¬<lb/> haupten, ſondern ſie legten ihren Blick von mitleidi¬<lb/> gen Thraͤnen umgeben zaͤrtlich auf ſeinen Freund.<lb/> Klotilde wurde uͤber den Ruheplatz ſeines Blickes<lb/> verlegen — er auch, weil der Menſch ſich der hef¬<lb/> tigſten Zeichen des Haſſes weniger ſchaͤmt als der<lb/> kleinſten der Liebe — Klotilde verſtand die kokette<lb/> Doppelkunſt nicht, in Verlegenheit zu ſetzen oder<lb/> daraus zu ziehen — und die gute Agathe verwech¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [360/0371]
zwingen. O ihr zwei guten Seelen! welche Quetſch¬
wunden wird euer Herz noch von eurem großen
Freund empfangen.
Wohin anders konnte ſie jetzt ihr liebendes und
trauerndes Auge als gegen ihren guten Bruder wen¬
den, gegen den ihr Betragen durch den doppelten
Zwang, den ihr ihre Verſchwiegenheit und ſeine
Auslegungen anlegten, bisher ſo unbeſchreiblich mild
geworden war? — Da nun Viktor jetzt das alles
mit ſo ganz andern Augen ſah; da er ſeinem armen
Freund, der mit ſeinem gegenwaͤrtigen Gluͤck viel¬
leicht die giftige Nahrung ſeiner kuͤnftigen Eifer¬
ſucht vergroͤßerte, offen und fixirend in das feſte An¬
geſicht ſchauete, das einſt ſchwere Tage zerreiſſen
konnten; da ihn uͤberhaupt kuͤnftige oder ver¬
gangne Leiden des andern mehr angriffen als ge¬
genwaͤrtige, weil ihn die Phantaſie mehr in der
Gewalt hatte als die Sinne: ſo konnt' er einen Au¬
genblick die Herrſchaft uͤber ſeine Augen nicht be¬
haupten, ſondern ſie legten ihren Blick von mitleidi¬
gen Thraͤnen umgeben zaͤrtlich auf ſeinen Freund.
Klotilde wurde uͤber den Ruheplatz ſeines Blickes
verlegen — er auch, weil der Menſch ſich der hef¬
tigſten Zeichen des Haſſes weniger ſchaͤmt als der
kleinſten der Liebe — Klotilde verſtand die kokette
Doppelkunſt nicht, in Verlegenheit zu ſetzen oder
daraus zu ziehen — und die gute Agathe verwech¬
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