"ist jetzt das einzige was mich nicht schmerzet, wenn "ich denke: ich vergesse dein nicht."
Alles wurde stumm und ausgelöscht: er war allein neben der Nacht. Endlich ging er nach der langen Stille herab und nach Flachsenfingen zu, matt geweint und arm geworden. Und als er unter¬ weges schnell zum schwarzblauen Himmel, in dem ir¬ rende Wolken um den Mond wie Schlacken umher geworfen waren, hinaufblickte und schnell wieder über die halb vernichtete Schattengegend, über die Schat¬ tenberge und Schattendörfer: so kam ihm alles tod, leer und eitel vor und es schien ihm, als wär' in irgend einer hellern Welt eine Zauberlaterne -- und durch dit Laterne rückten Gläser worauf Erden und Frühlinge und Menschengruppen gefärbet wären -- und die herabgeflossenen hüpfenden Schattenbilder dieser Gläser nennten wir uns und eine Erde und ein Leben -- und allem Bunten liefe ein gro¬ ßer Schatten hintennach. -- --
Ach, ich rege vielleicht in mancher Brust längst vergossene Beklemmungen wieder auf, aber es thut uns wohl, daß da die Leiden so viel Platz in unserer Erinnerung einnehmen, daß dieses herbe Lagerobst milde wird durch Liegen und daß ein geringer Unter¬ schied ist zwischen einem vergangnen Schmerz und ei¬ ner jetzigen Lust. -- --
»iſt jetzt das einzige was mich nicht ſchmerzet, wenn »ich denke: ich vergeſſe dein nicht.«
Alles wurde ſtumm und ausgeloͤſcht: er war allein neben der Nacht. Endlich ging er nach der langen Stille herab und nach Flachſenfingen zu, matt geweint und arm geworden. Und als er unter¬ weges ſchnell zum ſchwarzblauen Himmel, in dem ir¬ rende Wolken um den Mond wie Schlacken umher geworfen waren, hinaufblickte und ſchnell wieder uͤber die halb vernichtete Schattengegend, uͤber die Schat¬ tenberge und Schattendoͤrfer: ſo kam ihm alles tod, leer und eitel vor und es ſchien ihm, als waͤr' in irgend einer hellern Welt eine Zauberlaterne — und durch dit Laterne ruͤckten Glaͤſer worauf Erden und Fruͤhlinge und Menſchengruppen gefaͤrbet waͤren — und die herabgefloſſenen huͤpfenden Schattenbilder dieſer Glaͤſer nennten wir uns und eine Erde und ein Leben — und allem Bunten liefe ein gro¬ ßer Schatten hintennach. — —
Ach, ich rege vielleicht in mancher Bruſt laͤngſt vergoſſene Beklemmungen wieder auf, aber es thut uns wohl, daß da die Leiden ſo viel Platz in unſerer Erinnerung einnehmen, daß dieſes herbe Lagerobſt milde wird durch Liegen und daß ein geringer Unter¬ ſchied iſt zwiſchen einem vergangnen Schmerz und ei¬ ner jetzigen Luſt. — —
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»iſt jetzt das einzige was mich nicht ſchmerzet, wenn
»ich denke: ich vergeſſe dein nicht.«
Alles wurde ſtumm und ausgeloͤſcht: er war
allein neben der Nacht. Endlich ging er nach der
langen Stille herab und nach Flachſenfingen zu,
matt geweint und arm geworden. Und als er unter¬
weges ſchnell zum ſchwarzblauen Himmel, in dem ir¬
rende Wolken um den Mond wie Schlacken umher
geworfen waren, hinaufblickte und ſchnell wieder uͤber
die halb vernichtete Schattengegend, uͤber die Schat¬
tenberge und Schattendoͤrfer: ſo kam ihm alles tod,
leer und eitel vor und es ſchien ihm, als waͤr' in
irgend einer hellern Welt eine Zauberlaterne — und
durch dit Laterne ruͤckten Glaͤſer worauf Erden und
Fruͤhlinge und Menſchengruppen gefaͤrbet waͤren —
und die herabgefloſſenen huͤpfenden Schattenbilder
dieſer Glaͤſer nennten wir uns und eine Erde und
ein Leben — und allem Bunten liefe ein gro¬
ßer Schatten hintennach. — —
Ach, ich rege vielleicht in mancher Bruſt laͤngſt
vergoſſene Beklemmungen wieder auf, aber es thut
uns wohl, daß da die Leiden ſo viel Platz in unſerer
Erinnerung einnehmen, daß dieſes herbe Lagerobſt
milde wird durch Liegen und daß ein geringer Unter¬
ſchied iſt zwiſchen einem vergangnen Schmerz und ei¬
ner jetzigen Luſt. — —
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/104>, abgerufen am 22.11.2024.
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