formiren: er stand bekanntlich sogleich hinter dem Kammerherrn und war der einzige, der aussah, wie ein leserliches Pasquil auf alles zusammen. Ueber die Tafel, worüber wenig gesprochen wurde, höch¬ stens sehr leise von zwei Nachbarn, soll auch hier nichts gesprochen werden.
Nach dem Essen kam der Fürst und störte das steife Zeremoniel, das er aus Bequemlichkeit haßte so wie es Viktor aus Philosophie verachtete: "War¬ "lich ein Erzengel -- sagte Viktor oft -- der die "menschliche in allen Kleinigkeiten beobachtete Tu¬ "gend und Weisheit bemerkte an Sessionstischen, an "Altären, in Visitenzimmern, mußte seinen Himmel "und seine Flügel verwetten, daß wir einen Heller "oder doch etwas taugten -- in größern Dingen; "wir wissen aber sämtlich, wo es hinkt; und eben "dieser Ekel an der steifen altklugen dezenten Mikro¬ "logie und Maschinerie der Menschen ist die Laune "des Satyrikers. Die moralische Verschlimmerung "entspinnt sich zwar aus Geringfügigkeiten, aber "nicht die Besserung; Satanas kriecht durch Jalou¬ "sieläden und Sphinkter in uns, der gute Engel "zieht durch Portale ein." -- Agnola belohnte heute unseren Helden für seine bisherige es so treumeinen¬ de Beflissenheit mit einer wärmern Aufmerksamkeit, die in seinen Augen durch ihren Schmuck -- sie trug den der vorigen Fürstin, ihren eignen und den
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formiren: er ſtand bekanntlich ſogleich hinter dem Kammerherrn und war der einzige, der ausſah, wie ein leſerliches Pasquil auf alles zuſammen. Ueber die Tafel, woruͤber wenig geſprochen wurde, hoͤch¬ ſtens ſehr leiſe von zwei Nachbarn, ſoll auch hier nichts geſprochen werden.
Nach dem Eſſen kam der Fuͤrſt und ſtoͤrte das ſteife Zeremoniel, das er aus Bequemlichkeit haßte ſo wie es Viktor aus Philoſophie verachtete: »War¬ »lich ein Erzengel — ſagte Viktor oft — der die »menſchliche in allen Kleinigkeiten beobachtete Tu¬ »gend und Weisheit bemerkte an Seſſionstiſchen, an »Altaͤren, in Viſitenzimmern, mußte ſeinen Himmel »und ſeine Fluͤgel verwetten, daß wir einen Heller »oder doch etwas taugten — in groͤßern Dingen; »wir wiſſen aber ſaͤmtlich, wo es hinkt; und eben »dieſer Ekel an der ſteifen altklugen dezenten Mikro¬ »logie und Maſchinerie der Menſchen iſt die Laune »des Satyrikers. Die moraliſche Verſchlimmerung »entſpinnt ſich zwar aus Geringfuͤgigkeiten, aber »nicht die Beſſerung; Satanas kriecht durch Jalou¬ »ſielaͤden und Sphinkter in uns, der gute Engel »zieht durch Portale ein.« — Agnola belohnte heute unſeren Helden fuͤr ſeine bisherige es ſo treumeinen¬ de Befliſſenheit mit einer waͤrmern Aufmerkſamkeit, die in ſeinen Augen durch ihren Schmuck — ſie trug den der vorigen Fuͤrſtin, ihren eignen und den
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formiren: er ſtand bekanntlich ſogleich hinter dem
Kammerherrn und war der einzige, der ausſah, wie
ein leſerliches Pasquil auf alles zuſammen. Ueber
die Tafel, woruͤber wenig geſprochen wurde, hoͤch¬
ſtens ſehr leiſe von zwei Nachbarn, ſoll auch hier
nichts geſprochen werden.
Nach dem Eſſen kam der Fuͤrſt und ſtoͤrte das
ſteife Zeremoniel, das er aus Bequemlichkeit haßte
ſo wie es Viktor aus Philoſophie verachtete: »War¬
»lich ein Erzengel — ſagte Viktor oft — der die
»menſchliche in allen Kleinigkeiten beobachtete Tu¬
»gend und Weisheit bemerkte an Seſſionstiſchen, an
»Altaͤren, in Viſitenzimmern, mußte ſeinen Himmel
»und ſeine Fluͤgel verwetten, daß wir einen Heller
»oder doch etwas taugten — in groͤßern Dingen;
»wir wiſſen aber ſaͤmtlich, wo es hinkt; und eben
»dieſer Ekel an der ſteifen altklugen dezenten Mikro¬
»logie und Maſchinerie der Menſchen iſt die Laune
»des Satyrikers. Die moraliſche Verſchlimmerung
»entſpinnt ſich zwar aus Geringfuͤgigkeiten, aber
»nicht die Beſſerung; Satanas kriecht durch Jalou¬
»ſielaͤden und Sphinkter in uns, der gute Engel
»zieht durch Portale ein.« — Agnola belohnte heute
unſeren Helden fuͤr ſeine bisherige es ſo treumeinen¬
de Befliſſenheit mit einer waͤrmern Aufmerkſamkeit,
die in ſeinen Augen durch ihren Schmuck — ſie
trug den der vorigen Fuͤrſtin, ihren eignen und den
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/189>, abgerufen am 21.11.2024.
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