telnd sagst: "Nein, mein theurer Emanuel, ich komme nicht, denn ich kann ja nicht" -- Es äzte sich in dein Herz am tiefsten, daß gerade dein treuer Emanuel noch glaubte, du würdest von seiner Freun¬ din geliebt. -- Der unentwickelte Schmerz ist ohne Thräne und ohne Zeichen; aber wenn der Mensch das Herz voll zusammenfließender Wunden durch Phantasie aus dem eignen Busen zieht und die Stiche zählt und dann vergisset, daß es sein eignes ist: so weint er mitleidig über das was so schmerzhaft in seinen Händen schlägt und dann be¬ sinnt er sich und weint noch mehr. -- Viktor wollte gleichsam die starre Seele aus den gefrornen Thrä¬ nen wärmend lösen und ging ans Erkerfenster und malte sich, indeß die verhaltene Abendgluth des Märzes aus dem Gewölke über den Maienthalischen Bergen brannte, Klotildens Vermählungstag mit Julius vor -- O er zog, um sich recht wehe zu thun, einen Frühlingstag über das Thal, der Genius der Liebe schlug über dem Traualtar den blauen Himmel auf und trug die Sonne als Brautfackel ohne Wolken¬ dampf durch die reine Unermeßlichkeit. -- Da ging an jenem Tage Emanuel verklärt, Julius blind aber seelig, Klotilde erröthend und längst genesen und je¬ der war glücklich -- Da sah er nur einen einzigen Unglücklichen in den Blumen stehen, sich nämlich, da sah er, wie dieser Betrübte wortkarg vor Schmer¬
telnd ſagſt: »Nein, mein theurer Emanuel, ich komme nicht, denn ich kann ja nicht« — Es aͤzte ſich in dein Herz am tiefſten, daß gerade dein treuer Emanuel noch glaubte, du wuͤrdeſt von ſeiner Freun¬ din geliebt. — Der unentwickelte Schmerz iſt ohne Thraͤne und ohne Zeichen; aber wenn der Menſch das Herz voll zuſammenfließender Wunden durch Phantaſie aus dem eignen Buſen zieht und die Stiche zaͤhlt und dann vergiſſet, daß es ſein eignes iſt: ſo weint er mitleidig uͤber das was ſo ſchmerzhaft in ſeinen Haͤnden ſchlaͤgt und dann be¬ ſinnt er ſich und weint noch mehr. — Viktor wollte gleichſam die ſtarre Seele aus den gefrornen Thraͤ¬ nen waͤrmend loͤſen und ging ans Erkerfenſter und malte ſich, indeß die verhaltene Abendgluth des Maͤrzes aus dem Gewoͤlke uͤber den Maienthaliſchen Bergen brannte, Klotildens Vermaͤhlungstag mit Julius vor — O er zog, um ſich recht wehe zu thun, einen Fruͤhlingstag uͤber das Thal, der Genius der Liebe ſchlug uͤber dem Traualtar den blauen Himmel auf und trug die Sonne als Brautfackel ohne Wolken¬ dampf durch die reine Unermeßlichkeit. — Da ging an jenem Tage Emanuel verklaͤrt, Julius blind aber ſeelig, Klotilde erroͤthend und laͤngſt geneſen und je¬ der war gluͤcklich — Da ſah er nur einen einzigen Ungluͤcklichen in den Blumen ſtehen, ſich naͤmlich, da ſah er, wie dieſer Betruͤbte wortkarg vor Schmer¬
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telnd ſagſt: »Nein, mein theurer Emanuel, ich
komme nicht, denn ich kann ja nicht« — Es aͤzte
ſich in dein Herz am tiefſten, daß gerade dein treuer
Emanuel noch glaubte, du wuͤrdeſt von ſeiner Freun¬
din geliebt. — Der unentwickelte Schmerz iſt ohne
Thraͤne und ohne Zeichen; aber wenn der Menſch
das Herz voll zuſammenfließender Wunden durch
Phantaſie aus dem eignen Buſen zieht und die
Stiche zaͤhlt und dann vergiſſet, daß es ſein
eignes iſt: ſo weint er mitleidig uͤber das was ſo
ſchmerzhaft in ſeinen Haͤnden ſchlaͤgt und dann be¬
ſinnt er ſich und weint noch mehr. — Viktor wollte
gleichſam die ſtarre Seele aus den gefrornen Thraͤ¬
nen waͤrmend loͤſen und ging ans Erkerfenſter und
malte ſich, indeß die verhaltene Abendgluth des
Maͤrzes aus dem Gewoͤlke uͤber den Maienthaliſchen
Bergen brannte, Klotildens Vermaͤhlungstag mit
Julius vor — O er zog, um ſich recht wehe zu thun,
einen Fruͤhlingstag uͤber das Thal, der Genius der
Liebe ſchlug uͤber dem Traualtar den blauen Himmel
auf und trug die Sonne als Brautfackel ohne Wolken¬
dampf durch die reine Unermeßlichkeit. — Da ging
an jenem Tage Emanuel verklaͤrt, Julius blind aber
ſeelig, Klotilde erroͤthend und laͤngſt geneſen und je¬
der war gluͤcklich — Da ſah er nur einen einzigen
Ungluͤcklichen in den Blumen ſtehen, ſich naͤmlich,
da ſah er, wie dieſer Betruͤbte wortkarg vor Schmer¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/272>, abgerufen am 21.11.2024.
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