Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

ist nichts dran und die elendeste Bratsche und Stroh¬
fidel schreiet meines Bedünkens lauter: ja sein Ge¬
töne ist so leise, daß er im Karlsbade vor nicht mehr
als 12 Kunden aufeinmal aufspielte, weil man nicht
nahe genug an ihm sitzen kann, wie er denn sogar bei
seinen Hauptliedern das Licht wegtragen lässet, da¬
mit weder Aug' noch Ohr die Phantasien störe. -- Ist
aber freilich ein Leser anders -- etwan ein Dichter
-- oder ein Verliebter -- oder sehr zart -- oder
wie Viktor -- oder wie ich: so horch' er ohne Be¬
denken mit stiller zerfließender Seele dem guten
Franz Koch oder -- heute wird er gerade zu haben
seyn -- mir zu.

Der lustige Engländer hatte Viktor diesen Har¬
monisten mit der Karte geschickt: "Ueberbringer die¬
ses ist der Ueberbringer eines Echo, das er in der
Tasche führt." -- Viktor nahm ihn daher lieber zur
Freundin aller schönen Töne hinüber, damit ihre
Abreise sie nicht um diese melodische Stunde bringe.
Es war ihm wie wenn er durch eine lange Kirche
ginge, da er in Klotildens Loret[t]ohaus eintrat: ihr
einfaches Zimmer war wie Mariens Wohnzimmer,
vor einem Tempel eingefasset Sie hatte schon ih¬
re schwarze Parüre vollendet: die schwarze Tracht
ist eine schöne Verfinsterung der Sonne, worin man
das Auge von ihr gar nicht wegzubringen vermag.
Viktor, der bei seiner sinesischen Achtung für

iſt nichts dran und die elendeſte Bratſche und Stroh¬
fidel ſchreiet meines Beduͤnkens lauter: ja ſein Ge¬
toͤne iſt ſo leiſe‚ daß er im Karlsbade vor nicht mehr
als 12 Kunden aufeinmal aufſpielte‚ weil man nicht
nahe genug an ihm ſitzen kann‚ wie er denn ſogar bei
ſeinen Hauptliedern das Licht wegtragen laͤſſet‚ da¬
mit weder Aug' noch Ohr die Phantaſien ſtoͤre. — Iſt
aber freilich ein Leſer anders — etwan ein Dichter
— oder ein Verliebter — oder ſehr zart — oder
wie Viktor — oder wie ich: ſo horch' er ohne Be¬
denken mit ſtiller zerfließender Seele dem guten
Franz Koch oder — heute wird er gerade zu haben
ſeyn — mir zu.

Der luſtige Englaͤnder hatte Viktor dieſen Har¬
moniſten mit der Karte geſchickt: »Ueberbringer die¬
ſes iſt der Ueberbringer eines Echo‚ das er in der
Taſche fuͤhrt.» — Viktor nahm ihn daher lieber zur
Freundin aller ſchoͤnen Toͤne hinuͤber‚ damit ihre
Abreiſe ſie nicht um dieſe melodiſche Stunde bringe.
Es war ihm wie wenn er durch eine lange Kirche
ginge, da er in Klotildens Loret[t]ohaus eintrat: ihr
einfaches Zimmer war wie Mariens Wohnzimmer‚
vor einem Tempel eingefaſſet Sie hatte ſchon ih¬
re ſchwarze Paruͤre vollendet: die ſchwarze Tracht
iſt eine ſchoͤne Verfinſterung der Sonne‚ worin man
das Auge von ihr gar nicht wegzubringen vermag.
Viktor‚ der bei ſeiner ſineſiſchen Achtung fuͤr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0374" n="364"/>
i&#x017F;t nichts dran und die elende&#x017F;te Brat&#x017F;che und Stroh¬<lb/>
fidel &#x017F;chreiet meines Bedu&#x0364;nkens lauter: ja &#x017F;ein Ge¬<lb/>
to&#x0364;ne i&#x017F;t &#x017F;o lei&#x017F;e&#x201A; daß er im Karlsbade vor nicht mehr<lb/>
als 12 Kunden aufeinmal auf&#x017F;pielte&#x201A; weil man nicht<lb/>
nahe genug an ihm &#x017F;itzen kann&#x201A; wie er denn &#x017F;ogar bei<lb/>
&#x017F;einen Hauptliedern das Licht wegtragen la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et&#x201A; da¬<lb/>
mit weder Aug' noch Ohr die Phanta&#x017F;ien &#x017F;to&#x0364;re. &#x2014; I&#x017F;t<lb/>
aber freilich ein Le&#x017F;er anders &#x2014; etwan ein Dichter<lb/>
&#x2014; oder ein Verliebter &#x2014; oder &#x017F;ehr zart &#x2014; oder<lb/>
wie Viktor &#x2014; oder wie ich: &#x017F;o horch' er ohne Be¬<lb/>
denken mit &#x017F;tiller zerfließender Seele dem guten<lb/>
Franz Koch oder &#x2014; heute wird er gerade zu haben<lb/>
&#x017F;eyn &#x2014; mir zu.</p><lb/>
            <p>Der lu&#x017F;tige Engla&#x0364;nder hatte Viktor die&#x017F;en Har¬<lb/>
moni&#x017F;ten mit der Karte ge&#x017F;chickt: »Ueberbringer die¬<lb/>
&#x017F;es i&#x017F;t der Ueberbringer eines Echo&#x201A; das er in der<lb/>
Ta&#x017F;che fu&#x0364;hrt.» &#x2014; Viktor nahm ihn daher lieber zur<lb/>
Freundin aller &#x017F;cho&#x0364;nen To&#x0364;ne hinu&#x0364;ber&#x201A; damit ihre<lb/>
Abrei&#x017F;e &#x017F;ie nicht um die&#x017F;e melodi&#x017F;che Stunde bringe.<lb/>
Es war ihm wie wenn er durch eine lange Kirche<lb/>
ginge, da er in Klotildens Loret<supplied>t</supplied>ohaus eintrat: ihr<lb/>
einfaches Zimmer war wie Mariens Wohnzimmer&#x201A;<lb/>
vor einem Tempel eingefa&#x017F;&#x017F;et Sie hatte &#x017F;chon ih¬<lb/>
re &#x017F;chwarze Paru&#x0364;re vollendet: die &#x017F;chwarze Tracht<lb/>
i&#x017F;t eine &#x017F;cho&#x0364;ne Verfin&#x017F;terung der Sonne&#x201A; worin man<lb/>
das Auge von ihr gar nicht wegzubringen vermag.<lb/>
Viktor&#x201A; der bei &#x017F;einer <hi rendition="#g">&#x017F;ine&#x017F;i&#x017F;chen</hi> Achtung fu&#x0364;r<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[364/0374] iſt nichts dran und die elendeſte Bratſche und Stroh¬ fidel ſchreiet meines Beduͤnkens lauter: ja ſein Ge¬ toͤne iſt ſo leiſe‚ daß er im Karlsbade vor nicht mehr als 12 Kunden aufeinmal aufſpielte‚ weil man nicht nahe genug an ihm ſitzen kann‚ wie er denn ſogar bei ſeinen Hauptliedern das Licht wegtragen laͤſſet‚ da¬ mit weder Aug' noch Ohr die Phantaſien ſtoͤre. — Iſt aber freilich ein Leſer anders — etwan ein Dichter — oder ein Verliebter — oder ſehr zart — oder wie Viktor — oder wie ich: ſo horch' er ohne Be¬ denken mit ſtiller zerfließender Seele dem guten Franz Koch oder — heute wird er gerade zu haben ſeyn — mir zu. Der luſtige Englaͤnder hatte Viktor dieſen Har¬ moniſten mit der Karte geſchickt: »Ueberbringer die¬ ſes iſt der Ueberbringer eines Echo‚ das er in der Taſche fuͤhrt.» — Viktor nahm ihn daher lieber zur Freundin aller ſchoͤnen Toͤne hinuͤber‚ damit ihre Abreiſe ſie nicht um dieſe melodiſche Stunde bringe. Es war ihm wie wenn er durch eine lange Kirche ginge, da er in Klotildens Lorettohaus eintrat: ihr einfaches Zimmer war wie Mariens Wohnzimmer‚ vor einem Tempel eingefaſſet Sie hatte ſchon ih¬ re ſchwarze Paruͤre vollendet: die ſchwarze Tracht iſt eine ſchoͤne Verfinſterung der Sonne‚ worin man das Auge von ihr gar nicht wegzubringen vermag. Viktor‚ der bei ſeiner ſineſiſchen Achtung fuͤr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/374
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/374>, abgerufen am 25.11.2024.