Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Pfingst-Ausgießung auf die kleinen Köpfe betrieb,
die der Pfarrer schon sechs Wochen eingefeuchtet
hatte. Viktors Herz schlug vor Freude als wenn
er ein Kind mit darunter hätte oder eines wäre, als
die bunte gepuderte Wesenkette mit hüpfenden Flit¬
tern, mit hochstämmigen Blumensträußern, mit
schwarz-gleissenden geistlichen Musenalmanachs, vor
dem Kommando- und Hirtenstab ihrer zwei Konsuln,
singend und besungen und eingeläutet und angebla¬
sen durchs Kirchen-Triumphthor einzog. -- Ach Kin¬
dern steht die Freude noch schöner wie uns, so wie
ein unglückliches, ein bettelndes, dem das Schicksal
das erste Kindergärtgen zertritt und vor dessen Au¬
gen beim ersten Aufschlagen ins Sein nichts hängt
als schwarzes ungestaltes Morgengewölke, unser
Herz betrübter macht als der Vater desselben. . . .

"Beeret jede Minute eures ersten Triumphtages
"ab, ihr guten Kinder, und ich wollte, die Predigt
"würde recht lang, damit ihr den schönen Anzug
"länger anbehieltet!" sagte Viktor und sah sich nach
dem Kloster um, dessen Fenster voll unkenntlicher
Zuschauerinnen waren: er setzte sich vor, beim Re¬
marsche der Kinder-Prozession sich unter den Fen¬
stern das mit dem schönsten Inhalt auszusuchen durch
ein Taschenperspektiv. -- Gehe nur, guter menschen¬
freundlicher Mensch, der die schönen Seelen liebt
wie die schöne Natur und die kalten erträgt wie die

Pfingſt-Ausgießung auf die kleinen Koͤpfe betrieb,
die der Pfarrer ſchon ſechs Wochen eingefeuchtet
hatte. Viktors Herz ſchlug vor Freude als wenn
er ein Kind mit darunter haͤtte oder eines waͤre, als
die bunte gepuderte Weſenkette mit huͤpfenden Flit¬
tern, mit hochſtaͤmmigen Blumenſtraͤußern, mit
ſchwarz-gleiſſenden geiſtlichen Muſenalmanachs, vor
dem Kommando- und Hirtenſtab ihrer zwei Konſuln,
ſingend und beſungen und eingelaͤutet und angebla¬
ſen durchs Kirchen-Triumphthor einzog. — Ach Kin¬
dern ſteht die Freude noch ſchoͤner wie uns, ſo wie
ein ungluͤckliches, ein bettelndes, dem das Schickſal
das erſte Kindergaͤrtgen zertritt und vor deſſen Au¬
gen beim erſten Aufſchlagen ins Sein nichts haͤngt
als ſchwarzes ungeſtaltes Morgengewoͤlke, unſer
Herz betruͤbter macht als der Vater deſſelben. . . .

»Beeret jede Minute eures erſten Triumphtages
»ab, ihr guten Kinder, und ich wollte, die Predigt
»wuͤrde recht lang, damit ihr den ſchoͤnen Anzug
»laͤnger anbehieltet!» ſagte Viktor und ſah ſich nach
dem Kloſter um, deſſen Fenſter voll unkenntlicher
Zuſchauerinnen waren: er ſetzte ſich vor, beim Re¬
marſche der Kinder-Prozeſſion ſich unter den Fen¬
ſtern das mit dem ſchoͤnſten Inhalt auszuſuchen durch
ein Taſchenperſpektiv. — Gehe nur, guter menſchen¬
freundlicher Menſch, der die ſchoͤnen Seelen liebt
wie die ſchoͤne Natur und die kalten ertraͤgt wie die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0159" n="149"/>
Pfing&#x017F;t-Ausgießung auf die kleinen Ko&#x0364;pfe betrieb,<lb/>
die der Pfarrer &#x017F;chon &#x017F;echs Wochen eingefeuchtet<lb/>
hatte. Viktors Herz &#x017F;chlug vor Freude als wenn<lb/>
er ein Kind mit darunter ha&#x0364;tte oder eines wa&#x0364;re, als<lb/>
die bunte gepuderte We&#x017F;enkette mit hu&#x0364;pfenden Flit¬<lb/>
tern, mit hoch&#x017F;ta&#x0364;mmigen Blumen&#x017F;tra&#x0364;ußern, mit<lb/>
&#x017F;chwarz-glei&#x017F;&#x017F;enden gei&#x017F;tlichen Mu&#x017F;enalmanachs, vor<lb/>
dem Kommando- und Hirten&#x017F;tab ihrer zwei Kon&#x017F;uln,<lb/>
&#x017F;ingend und be&#x017F;ungen und eingela&#x0364;utet und angebla¬<lb/>
&#x017F;en durchs Kirchen-Triumphthor einzog. &#x2014; Ach Kin¬<lb/>
dern &#x017F;teht die Freude noch &#x017F;cho&#x0364;ner wie uns, &#x017F;o wie<lb/>
ein unglu&#x0364;ckliches, ein bettelndes, dem das Schick&#x017F;al<lb/>
das er&#x017F;te Kinderga&#x0364;rtgen zertritt und vor de&#x017F;&#x017F;en Au¬<lb/>
gen beim er&#x017F;ten Auf&#x017F;chlagen ins Sein nichts ha&#x0364;ngt<lb/>
als &#x017F;chwarzes unge&#x017F;taltes Morgengewo&#x0364;lke, un&#x017F;er<lb/>
Herz betru&#x0364;bter macht als der Vater de&#x017F;&#x017F;elben. . . .</p><lb/>
          <p>»Beeret jede Minute eures er&#x017F;ten Triumphtages<lb/>
»ab, ihr guten Kinder, und ich wollte, die Predigt<lb/>
»wu&#x0364;rde recht lang, damit ihr den &#x017F;cho&#x0364;nen Anzug<lb/>
»la&#x0364;nger anbehieltet!» &#x017F;agte Viktor und &#x017F;ah &#x017F;ich nach<lb/>
dem Klo&#x017F;ter um, de&#x017F;&#x017F;en Fen&#x017F;ter voll unkenntlicher<lb/>
Zu&#x017F;chauerinnen waren: er &#x017F;etzte &#x017F;ich vor, beim Re¬<lb/>
mar&#x017F;che der Kinder-Proze&#x017F;&#x017F;ion &#x017F;ich unter den Fen¬<lb/>
&#x017F;tern das mit dem &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Inhalt auszu&#x017F;uchen durch<lb/>
ein Ta&#x017F;chenper&#x017F;pektiv. &#x2014; Gehe nur, guter men&#x017F;chen¬<lb/>
freundlicher Men&#x017F;ch, der die &#x017F;cho&#x0364;nen Seelen liebt<lb/>
wie die &#x017F;cho&#x0364;ne Natur und die kalten ertra&#x0364;gt wie die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[149/0159] Pfingſt-Ausgießung auf die kleinen Koͤpfe betrieb, die der Pfarrer ſchon ſechs Wochen eingefeuchtet hatte. Viktors Herz ſchlug vor Freude als wenn er ein Kind mit darunter haͤtte oder eines waͤre, als die bunte gepuderte Weſenkette mit huͤpfenden Flit¬ tern, mit hochſtaͤmmigen Blumenſtraͤußern, mit ſchwarz-gleiſſenden geiſtlichen Muſenalmanachs, vor dem Kommando- und Hirtenſtab ihrer zwei Konſuln, ſingend und beſungen und eingelaͤutet und angebla¬ ſen durchs Kirchen-Triumphthor einzog. — Ach Kin¬ dern ſteht die Freude noch ſchoͤner wie uns, ſo wie ein ungluͤckliches, ein bettelndes, dem das Schickſal das erſte Kindergaͤrtgen zertritt und vor deſſen Au¬ gen beim erſten Aufſchlagen ins Sein nichts haͤngt als ſchwarzes ungeſtaltes Morgengewoͤlke, unſer Herz betruͤbter macht als der Vater deſſelben. . . . »Beeret jede Minute eures erſten Triumphtages »ab, ihr guten Kinder, und ich wollte, die Predigt »wuͤrde recht lang, damit ihr den ſchoͤnen Anzug »laͤnger anbehieltet!» ſagte Viktor und ſah ſich nach dem Kloſter um, deſſen Fenſter voll unkenntlicher Zuſchauerinnen waren: er ſetzte ſich vor, beim Re¬ marſche der Kinder-Prozeſſion ſich unter den Fen¬ ſtern das mit dem ſchoͤnſten Inhalt auszuſuchen durch ein Taſchenperſpektiv. — Gehe nur, guter menſchen¬ freundlicher Menſch, der die ſchoͤnen Seelen liebt wie die ſchoͤne Natur und die kalten ertraͤgt wie die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/159
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/159>, abgerufen am 27.11.2024.