"doch -- schiesse." -- Und es ging ihm durch die Seele, seinen ausgestohlnen Freund so sehr an Freun¬ den verarmt zu sehen, daß dieser Matthieu der letzte und der Stammhalter war, der sich nicht ein¬ mal vor Viktor die Mühe gab, in den höhern Zir¬ keln die Rolle eines Freundes von Flamin zu neh¬ men und fortzuspielen. -- Einem guten Menschen wird das weiche Herz gleichsam in eine Quetschform eingeschraubt, wenn er vor Leuten stehen muß (wie hier Viktor vor so vielen) die ihn hassen und belei¬ digen -- anfangs ist er heiter und kalt und freuet sich, daß er sich nichts darum schiert -- aber er rü¬ stet sich unwissend mit immer mehr Verachtung, um der Beleidigung etwas entgegenzustellen -- end¬ lich meldet sich der Anwachs der Verachtung durch das unbehagliche Gefühl der entfliehenden Liebe an und des eindringenden Hasses und das bittere Schei¬ dewasser ergreift und zerfrißt sein eignes Gefäß, das Herz -- Dann werden die Schmerzen so groß, daß er die alte Menschenliebe, die das warme Element seiner Seele war, wieder in Strömen in den Busen rinnen läßt. Bei Viktor kam noch etwas zur Er¬ bitterung -- seine Erweichung: man ist nie kälter als nach großer Wärme, so wie Wasser nach dem Kochen eine größere Kälte annimmt als es vorher hatte. Liebe, Rausch und zuweilen die aus dem An¬ blick der Natur getrunkne Begeisterung machen uns
Hesperus. III Th. Q
»doch — ſchieſſe.« — Und es ging ihm durch die Seele, ſeinen ausgeſtohlnen Freund ſo ſehr an Freun¬ den verarmt zu ſehen, daß dieſer Matthieu der letzte und der Stammhalter war, der ſich nicht ein¬ mal vor Viktor die Muͤhe gab, in den hoͤhern Zir¬ keln die Rolle eines Freundes von Flamin zu neh¬ men und fortzuſpielen. — Einem guten Menſchen wird das weiche Herz gleichſam in eine Quetſchform eingeſchraubt, wenn er vor Leuten ſtehen muß (wie hier Viktor vor ſo vielen) die ihn haſſen und belei¬ digen — anfangs iſt er heiter und kalt und freuet ſich, daß er ſich nichts darum ſchiert — aber er ruͤ¬ ſtet ſich unwiſſend mit immer mehr Verachtung, um der Beleidigung etwas entgegenzuſtellen — end¬ lich meldet ſich der Anwachs der Verachtung durch das unbehagliche Gefuͤhl der entfliehenden Liebe an und des eindringenden Haſſes und das bittere Schei¬ dewaſſer ergreift und zerfrißt ſein eignes Gefaͤß, das Herz — Dann werden die Schmerzen ſo groß, daß er die alte Menſchenliebe, die das warme Element ſeiner Seele war, wieder in Stroͤmen in den Buſen rinnen laͤßt. Bei Viktor kam noch etwas zur Er¬ bitterung — ſeine Erweichung: man iſt nie kaͤlter als nach großer Waͤrme, ſo wie Waſſer nach dem Kochen eine groͤßere Kaͤlte annimmt als es vorher hatte. Liebe, Rauſch und zuweilen die aus dem An¬ blick der Natur getrunkne Begeiſterung machen uns
Heſperus. III Th. Q
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»doch — ſchieſſe.« — Und es ging ihm durch die
Seele, ſeinen ausgeſtohlnen Freund ſo ſehr an Freun¬
den verarmt zu ſehen, daß dieſer Matthieu der
letzte und der Stammhalter war, der ſich nicht ein¬
mal vor Viktor die Muͤhe gab, in den hoͤhern Zir¬
keln die Rolle eines Freundes von Flamin zu neh¬
men und fortzuſpielen. — Einem guten Menſchen
wird das weiche Herz gleichſam in eine Quetſchform
eingeſchraubt, wenn er vor Leuten ſtehen muß (wie
hier Viktor vor ſo vielen) die ihn haſſen und belei¬
digen — anfangs iſt er heiter und kalt und freuet
ſich, daß er ſich nichts darum ſchiert — aber er ruͤ¬
ſtet ſich unwiſſend mit immer mehr Verachtung,
um der Beleidigung etwas entgegenzuſtellen — end¬
lich meldet ſich der Anwachs der Verachtung durch
das unbehagliche Gefuͤhl der entfliehenden Liebe an
und des eindringenden Haſſes und das bittere Schei¬
dewaſſer ergreift und zerfrißt ſein eignes Gefaͤß, das
Herz — Dann werden die Schmerzen ſo groß, daß
er die alte Menſchenliebe, die das warme Element
ſeiner Seele war, wieder in Stroͤmen in den Buſen
rinnen laͤßt. Bei Viktor kam noch etwas zur Er¬
bitterung — ſeine Erweichung: man iſt nie kaͤlter
als nach großer Waͤrme, ſo wie Waſſer nach dem
Kochen eine groͤßere Kaͤlte annimmt als es vorher
hatte. Liebe, Rauſch und zuweilen die aus dem An¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/251>, abgerufen am 23.11.2024.
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