"aufbewahre, mich selber aufzuopfern: dann "brauch' ich keinen größern; denn der größere "opfert doch gestohlne Güter -- Das Schicksal "kann Jahrhunderte und Inseln opfern, um Jahr¬ "tausende und Welttheile zu beglücken; *) der Mensch "aber nichts als sich."
Jubelnd lief Flamiu mit seinem Erlöser nach St. Lüne, um die treue Schwester in der untreuen Ge¬ liebten dankend und abbittend zu umfassen -- ach als die hohe Warte in seine Augen aufstieg: so zog sich blutig und schmerzhaft wie ein Augenfell die Decke von ihnen herab, die bisher die Unschuld seines be߬ ten Freundes, Viktors, verfinstert hatte. "Ach "wie wird er mich hassen! O hätt' ich ihm "mehr getrauet!" seufzete er und nichts freuete ihn "mehr: denn den Schmerz eines guten Menschen, der ungerecht gewesen, auch in der Meinung der volle¬ sten Gerechtigkeit, kann nichts trösten, nichts als viele viele Aufopferungen. Er schlich sich seufzend nicht zur neuen Mutter, sondern sank den treuen Drillingen sanft an das unbeleidigte Herz. Die red¬
*) Und auch da nur in Beziehung auf Unsterblichkeit und Wi¬ derersatz. Wir fühlen keine Ungerechtigkeit, wenn ein We¬ sen ein Plantagenneger, ein anderes ein Sonnenengel wird; aber ihre Schöpfung beginnt ihre Rechte und der Ewige kann ohne Ungerechtigkeit nicht einmal mit den Schmerzen des winzigsten Wesens die Freuden aller bessern kaufen, wenn es nicht jenem wieder vergütet wird.
»aufbewahre, mich ſelber aufzuopfern: dann »brauch' ich keinen groͤßern; denn der groͤßere »opfert doch geſtohlne Guͤter — Das Schickſal »kann Jahrhunderte und Inſeln opfern, um Jahr¬ »tauſende und Welttheile zu begluͤcken; *) der Menſch »aber nichts als ſich.«
Jubelnd lief Flamiu mit ſeinem Erloͤſer nach St. Luͤne, um die treue Schweſter in der untreuen Ge¬ liebten dankend und abbittend zu umfaſſen — ach als die hohe Warte in ſeine Augen aufſtieg: ſo zog ſich blutig und ſchmerzhaft wie ein Augenfell die Decke von ihnen herab, die bisher die Unſchuld ſeines be߬ ten Freundes, Viktors, verfinſtert hatte. »Ach »wie wird er mich haſſen! O haͤtt' ich ihm »mehr getrauet!« ſeufzete er und nichts freuete ihn »mehr: denn den Schmerz eines guten Menſchen, der ungerecht geweſen, auch in der Meinung der volle¬ ſten Gerechtigkeit, kann nichts troͤſten, nichts als viele viele Aufopferungen. Er ſchlich ſich ſeufzend nicht zur neuen Mutter, ſondern ſank den treuen Drillingen ſanft an das unbeleidigte Herz. Die red¬
*) Und auch da nur in Beziehung auf Unſterblichkeit und Wi¬ dererſatz. Wir fühlen keine Ungerechtigkeit, wenn ein We¬ ſen ein Plantagenneger, ein anderes ein Sonnenengel wird; aber ihre Schöpfung beginnt ihre Rechte und der Ewige kann ohne Ungerechtigkeit nicht einmal mit den Schmerzen des winzigſten Weſens die Freuden aller beſſern kaufen, wenn es nicht jenem wieder vergütet wird.
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»aufbewahre, mich ſelber aufzuopfern: dann
»brauch' ich keinen groͤßern; denn der groͤßere
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»kann Jahrhunderte und Inſeln opfern, um Jahr¬
»tauſende und Welttheile zu begluͤcken; *) der Menſch
»aber nichts als ſich.«
Jubelnd lief Flamiu mit ſeinem Erloͤſer nach St.
Luͤne, um die treue Schweſter in der untreuen Ge¬
liebten dankend und abbittend zu umfaſſen — ach als
die hohe Warte in ſeine Augen aufſtieg: ſo zog ſich
blutig und ſchmerzhaft wie ein Augenfell die Decke
von ihnen herab, die bisher die Unſchuld ſeines be߬
ten Freundes, Viktors, verfinſtert hatte. »Ach
»wie wird er mich haſſen! O haͤtt' ich ihm
»mehr getrauet!« ſeufzete er und nichts freuete ihn
»mehr: denn den Schmerz eines guten Menſchen, der
ungerecht geweſen, auch in der Meinung der volle¬
ſten Gerechtigkeit, kann nichts troͤſten, nichts als
viele viele Aufopferungen. Er ſchlich ſich ſeufzend
nicht zur neuen Mutter, ſondern ſank den treuen
Drillingen ſanft an das unbeleidigte Herz. Die red¬
*) Und auch da nur in Beziehung auf Unſterblichkeit und Wi¬
dererſatz. Wir fühlen keine Ungerechtigkeit, wenn ein We¬
ſen ein Plantagenneger, ein anderes ein Sonnenengel wird;
aber ihre Schöpfung beginnt ihre Rechte und der Ewige
kann ohne Ungerechtigkeit nicht einmal mit den Schmerzen
des winzigſten Weſens die Freuden aller beſſern kaufen,
wenn es nicht jenem wieder vergütet wird.
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/402>, abgerufen am 16.07.2024.
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