letzte Opferleiche todt niederfallen müssen! -- Aber das etwas im Menschen, das ihm allemal einen gro¬ ßen Verlust so wahrscheinlich und einen großen Ge¬ winnst so unwahrscheinlich vormalt, quälte, verei¬ nigt mit wehmüthigen Erinnerungen ihn jetzt.
Er bat daher Flamin, ihn ein wenig in der Laube zu lassen und allein, da die Pfarrerin schon im Garten war -- in die befreundeten Arme der gefun¬ denen Schwester und Mutter zu eilen: er komme bald nach. Als Flamin fort war: fieng Viktor im¬ mer vor Klotildens Erschütterung zu zittern an, die sich ihrer vielleicht jetzt bei der Nachricht seiner Ab¬ stammung bemeistern werde; und es drückte ihn sehr, da er dachte, daß für alle im Garten die Trauer von dem schwarzausgeschlagnen Trauerzimmer der Erde abgenommen werde, nur für ihn wohl nicht. -- --
Aber da kam, von neuen Entzückungen wieder¬ scheinend, seine Mutter und trocknete ihm eh' sie fragte, erst die Augen ab. Ihre neuen Entzückun¬ gen kamen davon her, daß Klotilde, da ihr von der Pfarrerin seine Abkunft erzählet wurde, ihr um den Hals gefallen und sie um Verzeihung des so langen Verhehlens, des so lange fortgesetzten Raubes des Kindes gebeten -- und daß die Lady sie ersucht, ih¬ ren Sohn schneller zu bringen. Viktor konnte vor weinendem Entzücken nichts sagen, als: "ist denn
letzte Opferleiche todt niederfallen muͤſſen! — Aber das etwas im Menſchen, das ihm allemal einen gro¬ ßen Verluſt ſo wahrſcheinlich und einen großen Ge¬ winnſt ſo unwahrſcheinlich vormalt, quaͤlte, verei¬ nigt mit wehmuͤthigen Erinnerungen ihn jetzt.
Er bat daher Flamin, ihn ein wenig in der Laube zu laſſen und allein, da die Pfarrerin ſchon im Garten war — in die befreundeten Arme der gefun¬ denen Schweſter und Mutter zu eilen: er komme bald nach. Als Flamin fort war: fieng Viktor im¬ mer vor Klotildens Erſchuͤtterung zu zittern an, die ſich ihrer vielleicht jetzt bei der Nachricht ſeiner Ab¬ ſtammung bemeiſtern werde; und es druͤckte ihn ſehr, da er dachte, daß fuͤr alle im Garten die Trauer von dem ſchwarzausgeſchlagnen Trauerzimmer der Erde abgenommen werde, nur fuͤr ihn wohl nicht. — —
Aber da kam, von neuen Entzuͤckungen wieder¬ ſcheinend, ſeine Mutter und trocknete ihm eh' ſie fragte, erſt die Augen ab. Ihre neuen Entzuͤckun¬ gen kamen davon her, daß Klotilde, da ihr von der Pfarrerin ſeine Abkunft erzaͤhlet wurde, ihr um den Hals gefallen und ſie um Verzeihung des ſo langen Verhehlens, des ſo lange fortgeſetzten Raubes des Kindes gebeten — und daß die Lady ſie erſucht, ih¬ ren Sohn ſchneller zu bringen. Viktor konnte vor weinendem Entzuͤcken nichts ſagen, als: »iſt denn
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letzte Opferleiche todt niederfallen muͤſſen! — Aber
das etwas im Menſchen, das ihm allemal einen gro¬
ßen Verluſt ſo wahrſcheinlich und einen großen Ge¬
winnſt ſo unwahrſcheinlich vormalt, quaͤlte, verei¬
nigt mit wehmuͤthigen Erinnerungen ihn jetzt.
Er bat daher Flamin, ihn ein wenig in der
Laube zu laſſen und allein, da die Pfarrerin ſchon im
Garten war — in die befreundeten Arme der gefun¬
denen Schweſter und Mutter zu eilen: er komme
bald nach. Als Flamin fort war: fieng Viktor im¬
mer vor Klotildens Erſchuͤtterung zu zittern an, die
ſich ihrer vielleicht jetzt bei der Nachricht ſeiner Ab¬
ſtammung bemeiſtern werde; und es druͤckte ihn ſehr,
da er dachte, daß fuͤr alle im Garten die Trauer
von dem ſchwarzausgeſchlagnen Trauerzimmer der
Erde abgenommen werde, nur fuͤr ihn wohl
nicht. — —
Aber da kam, von neuen Entzuͤckungen wieder¬
ſcheinend, ſeine Mutter und trocknete ihm eh' ſie
fragte, erſt die Augen ab. Ihre neuen Entzuͤckun¬
gen kamen davon her, daß Klotilde, da ihr von der
Pfarrerin ſeine Abkunft erzaͤhlet wurde, ihr um den
Hals gefallen und ſie um Verzeihung des ſo langen
Verhehlens, des ſo lange fortgeſetzten Raubes des
Kindes gebeten — und daß die Lady ſie erſucht, ih¬
ren Sohn ſchneller zu bringen. Viktor konnte vor
weinendem Entzuͤcken nichts ſagen, als: »iſt denn
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/414>, abgerufen am 23.11.2024.
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