Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

sein Auge und sein Mund waren voll Grüße für je¬
den, besonders für verschmähte Menschen, für Greise,
für alte Witwen. Die Freude meines Helden wird
die meinige: die Zeit arbeitet an dem schönen Tage,
wo sein Herz auf immer mit dem verlobten ver¬
schmilzt, wo er, ohne ein Gelenke der entzwei ge¬
schnittenen Floh- und Affenkette des Hofes, frei
durch die Natur geht, nichts ist als ein Mensch,
nichts macht als Kuren statt der Kour, nichts liebt
als die ganze Welt, und zu glücklich ist um beneidet
zu werden. Dann will ich einmal, mein Bastian,
Abends im Mondschein unter Linden-Dampf und
Linden-Gesums bei dir essen, und mich auf den Bal¬
len gerade ausgepackter abgedruckter Hundsposttage
setzen. Uebrigens bin ich -- ob ich mir gleich mein
eignes Ich sitzen ließ, um seines abzufärben -- nur
ein elender zerflossener ausgewischter Schieferabdruck
von ihm, nur eine sehr freie paraphrasirte Version
von dieser Seele; und ich finde, daß ein gebildeter
Pfarrsohn im Grunde besser ist als ein ganz ungebil¬
deter Prinz, und daß die Prinzen nicht wie die Poe¬
ten geboren, sondern gemacht werden.

Ich hoffe, ich habe so lange Materie zum Schrei¬
ben bis er wiederkömmt. Ich habe überhaupt in
meiner Biographie als Supernumerarkopist der Na¬
tur allzeit die Wirklchkeit abgeschrieben -- z. B. bei
Flamins Karakter hatt' ich einen Dragonerrittmei¬

ſein Auge und ſein Mund waren voll Gruͤße fuͤr je¬
den, beſonders fuͤr verſchmaͤhte Menſchen, fuͤr Greiſe,
fuͤr alte Witwen. Die Freude meines Helden wird
die meinige: die Zeit arbeitet an dem ſchoͤnen Tage,
wo ſein Herz auf immer mit dem verlobten ver¬
ſchmilzt, wo er, ohne ein Gelenke der entzwei ge¬
ſchnittenen Floh- und Affenkette des Hofes, frei
durch die Natur geht, nichts iſt als ein Menſch,
nichts macht als Kuren ſtatt der Kour, nichts liebt
als die ganze Welt, und zu gluͤcklich iſt um beneidet
zu werden. Dann will ich einmal, mein Baſtian,
Abends im Mondſchein unter Linden-Dampf und
Linden-Geſums bei dir eſſen, und mich auf den Bal¬
len gerade ausgepackter abgedruckter Hundspoſttage
ſetzen. Uebrigens bin ich — ob ich mir gleich mein
eignes Ich ſitzen ließ, um ſeines abzufaͤrben — nur
ein elender zerfloſſener ausgewiſchter Schieferabdruck
von ihm, nur eine ſehr freie paraphraſirte Verſion
von dieſer Seele; und ich finde, daß ein gebildeter
Pfarrſohn im Grunde beſſer iſt als ein ganz ungebil¬
deter Prinz, und daß die Prinzen nicht wie die Poe¬
ten geboren, ſondern gemacht werden.

Ich hoffe, ich habe ſo lange Materie zum Schrei¬
ben bis er wiederkoͤmmt. Ich habe uͤberhaupt in
meiner Biographie als Supernumerarkopiſt der Na¬
tur allzeit die Wirklchkeit abgeſchrieben — z. B. bei
Flamins Karakter hatt' ich einen Dragonerrittmei¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0446" n="436"/>
&#x017F;ein Auge und &#x017F;ein Mund waren voll Gru&#x0364;ße fu&#x0364;r je¬<lb/>
den, be&#x017F;onders fu&#x0364;r ver&#x017F;chma&#x0364;hte Men&#x017F;chen, fu&#x0364;r Grei&#x017F;e,<lb/>
fu&#x0364;r alte Witwen. Die Freude <choice><sic>meiues</sic><corr>meines</corr></choice> Helden wird<lb/>
die meinige: die Zeit arbeitet an dem &#x017F;cho&#x0364;nen Tage,<lb/>
wo &#x017F;ein Herz auf immer mit dem verlobten ver¬<lb/>
&#x017F;chmilzt, wo er, ohne ein Gelenke der entzwei ge¬<lb/>
&#x017F;chnittenen Floh- und Affenkette des Hofes, frei<lb/>
durch die Natur geht, nichts i&#x017F;t als ein Men&#x017F;ch,<lb/>
nichts macht als Kuren &#x017F;tatt der Kour, nichts liebt<lb/>
als die ganze Welt, und zu glu&#x0364;cklich i&#x017F;t um beneidet<lb/>
zu werden. Dann will ich einmal, mein Ba&#x017F;tian,<lb/>
Abends im Mond&#x017F;chein unter Linden-Dampf und<lb/>
Linden-Ge&#x017F;ums bei dir e&#x017F;&#x017F;en, und mich auf den Bal¬<lb/>
len gerade ausgepackter abgedruckter Hundspo&#x017F;ttage<lb/>
&#x017F;etzen. Uebrigens bin ich &#x2014; ob ich mir gleich mein<lb/>
eignes Ich &#x017F;itzen ließ, um &#x017F;eines abzufa&#x0364;rben &#x2014; nur<lb/>
ein elender zerflo&#x017F;&#x017F;ener ausgewi&#x017F;chter Schieferabdruck<lb/>
von ihm, nur eine &#x017F;ehr freie paraphra&#x017F;irte Ver&#x017F;ion<lb/>
von die&#x017F;er Seele; und ich finde, daß ein gebildeter<lb/>
Pfarr&#x017F;ohn im Grunde be&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t als ein ganz ungebil¬<lb/>
deter Prinz, und daß die Prinzen nicht wie die Poe¬<lb/>
ten geboren, &#x017F;ondern gemacht werden.</p><lb/>
            <p>Ich hoffe, ich habe &#x017F;o lange Materie zum Schrei¬<lb/>
ben bis er wiederko&#x0364;mmt. Ich habe u&#x0364;berhaupt in<lb/>
meiner Biographie als Supernumerarkopi&#x017F;t der Na¬<lb/>
tur allzeit die Wirklchkeit abge&#x017F;chrieben &#x2014; z. B. bei<lb/>
Flamins Karakter hatt' ich einen Dragonerrittmei¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[436/0446] ſein Auge und ſein Mund waren voll Gruͤße fuͤr je¬ den, beſonders fuͤr verſchmaͤhte Menſchen, fuͤr Greiſe, fuͤr alte Witwen. Die Freude meines Helden wird die meinige: die Zeit arbeitet an dem ſchoͤnen Tage, wo ſein Herz auf immer mit dem verlobten ver¬ ſchmilzt, wo er, ohne ein Gelenke der entzwei ge¬ ſchnittenen Floh- und Affenkette des Hofes, frei durch die Natur geht, nichts iſt als ein Menſch, nichts macht als Kuren ſtatt der Kour, nichts liebt als die ganze Welt, und zu gluͤcklich iſt um beneidet zu werden. Dann will ich einmal, mein Baſtian, Abends im Mondſchein unter Linden-Dampf und Linden-Geſums bei dir eſſen, und mich auf den Bal¬ len gerade ausgepackter abgedruckter Hundspoſttage ſetzen. Uebrigens bin ich — ob ich mir gleich mein eignes Ich ſitzen ließ, um ſeines abzufaͤrben — nur ein elender zerfloſſener ausgewiſchter Schieferabdruck von ihm, nur eine ſehr freie paraphraſirte Verſion von dieſer Seele; und ich finde, daß ein gebildeter Pfarrſohn im Grunde beſſer iſt als ein ganz ungebil¬ deter Prinz, und daß die Prinzen nicht wie die Poe¬ ten geboren, ſondern gemacht werden. Ich hoffe, ich habe ſo lange Materie zum Schrei¬ ben bis er wiederkoͤmmt. Ich habe uͤberhaupt in meiner Biographie als Supernumerarkopiſt der Na¬ tur allzeit die Wirklchkeit abgeſchrieben — z. B. bei Flamins Karakter hatt' ich einen Dragonerrittmei¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/446
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/446>, abgerufen am 29.05.2024.