lernd unter dem Sehen, wir konnten das nicht den¬ ken und behalten, was wir sahen, es waren unfa߬ liche Gestalten und Farbenspiele, sie schienen nahe, schienen fern, schienen mitten in unsern Gedanken zu seyn -- Wölkgen aus der Erde aufziehend schwebten um die glühende Ewigkeit und jede hob einen auf ihr stehenden singenden Menschen hinauf zu dieser Lichtinsel, die sich gegen die Erde spaltete bloß mit einer unabsehlichen Allee von weißen Bäumen, aus Licht und Schnee gegossen und statt Blüten Purpur¬ blumen treibend -- Und wir sahen unsere drei Schat¬ ten erhaben an den lichtweissen Hain hinübergewor¬ fen liegen und auf Klotildens Schatten hingen die Purpurblumen wie Kränze nieder -- ein Engel um¬ flog den holden Schatten und lächelte ihn zärtlich an und berührte an ihm die Stelle des Herzens -- Da erbebtest du plötzlich, Klotilde, wandtest dich um gegen uns, schöner als der Engel in der Ewigkeit, dein ganzer Boden glimmte unter den gefallnen Thrä¬ nen und wurde durchsichtig -- Und als deine nieder¬ sinkenden Perlen jetzt den Boden in eine aufdringende Wolke auflöseten: reichtest du uns eilig die Hand und sagtest: die Wolke hebt, wir sehen uns wieder -- Ach mein zerflossenes Herz faßte sein Blut nicht mehr, ich kniete nieder, aber ich konnte nichts sagen, ich wollte meine Seele in einen einzigen Laut zer¬ schmelzen, aber die gebundne Zunge vermochte keinen
lernd unter dem Sehen, wir konnten das nicht den¬ ken und behalten, was wir ſahen, es waren unfa߬ liche Geſtalten und Farbenſpiele, ſie ſchienen nahe, ſchienen fern, ſchienen mitten in unſern Gedanken zu ſeyn — Woͤlkgen aus der Erde aufziehend ſchwebten um die gluͤhende Ewigkeit und jede hob einen auf ihr ſtehenden ſingenden Menſchen hinauf zu dieſer Lichtinſel, die ſich gegen die Erde ſpaltete bloß mit einer unabſehlichen Allee von weißen Baͤumen, aus Licht und Schnee gegoſſen und ſtatt Bluͤten Purpur¬ blumen treibend — Und wir ſahen unſere drei Schat¬ ten erhaben an den lichtweiſſen Hain hinuͤbergewor¬ fen liegen und auf Klotildens Schatten hingen die Purpurblumen wie Kraͤnze nieder — ein Engel um¬ flog den holden Schatten und laͤchelte ihn zaͤrtlich an und beruͤhrte an ihm die Stelle des Herzens — Da erbebteſt du ploͤtzlich, Klotilde, wandteſt dich um gegen uns, ſchoͤner als der Engel in der Ewigkeit, dein ganzer Boden glimmte unter den gefallnen Thraͤ¬ nen und wurde durchſichtig — Und als deine nieder¬ ſinkenden Perlen jetzt den Boden in eine aufdringende Wolke aufloͤſeten: reichteſt du uns eilig die Hand und ſagteſt: die Wolke hebt, wir ſehen uns wieder — Ach mein zerfloſſenes Herz faßte ſein Blut nicht mehr, ich kniete nieder, aber ich konnte nichts ſagen, ich wollte meine Seele in einen einzigen Laut zer¬ ſchmelzen, aber die gebundne Zunge vermochte keinen
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lernd unter dem Sehen, wir konnten das nicht den¬
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liche Geſtalten und Farbenſpiele, ſie ſchienen nahe,
ſchienen fern, ſchienen mitten in unſern Gedanken zu
ſeyn — Woͤlkgen aus der Erde aufziehend ſchwebten
um die gluͤhende Ewigkeit und jede hob einen auf
ihr ſtehenden ſingenden Menſchen hinauf zu dieſer
Lichtinſel, die ſich gegen die Erde ſpaltete bloß mit
einer unabſehlichen Allee von weißen Baͤumen, aus
Licht und Schnee gegoſſen und ſtatt Bluͤten Purpur¬
blumen treibend — Und wir ſahen unſere drei Schat¬
ten erhaben an den lichtweiſſen Hain hinuͤbergewor¬
fen liegen und auf Klotildens Schatten hingen die
Purpurblumen wie Kraͤnze nieder — ein Engel um¬
flog den holden Schatten und laͤchelte ihn zaͤrtlich
an und beruͤhrte an ihm die Stelle des Herzens —
Da erbebteſt du ploͤtzlich, Klotilde, wandteſt dich um
gegen uns, ſchoͤner als der Engel in der Ewigkeit,
dein ganzer Boden glimmte unter den gefallnen Thraͤ¬
nen und wurde durchſichtig — Und als deine nieder¬
ſinkenden Perlen jetzt den Boden in eine aufdringende
Wolke aufloͤſeten: reichteſt du uns eilig die Hand
und ſagteſt: die Wolke hebt, wir ſehen uns wieder
— Ach mein zerfloſſenes Herz faßte ſein Blut nicht
mehr, ich kniete nieder, aber ich konnte nichts ſagen,
ich wollte meine Seele in einen einzigen Laut zer¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/53>, abgerufen am 24.11.2024.
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