ser Spiegel sogar, der mir, als ich mich vor Schmerz von ihrem Sterben wegkehrte, meine erblassende Schwester noch einmal zeigte, die Fenster, aus de¬ nen mein Auge so oft des Tages auf einen trauri¬ gen dornenvollen Rosenstrauch und auf einen ewig geschloßenen Hügel kommen muß, alles das darf ja wohl meinem Herzen einige Seufzer mehr geben als eine Glückliche sonst haben soll. Ich weiß nicht, sagten Sie oder Emanuel es: "der Gedanke des Todes muß nur unser Besserungsmittel aber nicht unser Endzweck seyn; wenn in das Herz wie in die Herzblätter einer Blume die Grabeserde fällt, so zerstöret sie, anstatt zu befruchten." -- Aber auf mein Laub hat wohl das Schicksal und Guilia schon einige Erde geworfen. -- Und ich trage sie gern, da ich seit Ihrer Freundschaft nun zu einem Herzen flüchten kann, vor dem ich meines öfnen darf, um ihm darin alle Kümmerniße, alle Seufzer, alle Zwei¬ fel, alle Fragen einer gedrückten Seele zu zeigen. O ich danke dem Allgütigen, daß er mir soviel als er mir in meinem Lehrer zu entziehen drohet, schon voraus in seinem Freunde wieder giebt -- meine Freundschaft wird unsern Emanuel nachreichen bis in die andre Welt und seinen Liebling begleiten durch diese; und sollte einmal auf uns beide der ge¬ meinschaftliche Schlag seines Todes fallen, so wür¬ den wir unsere vereinigten Thränen geduldiger ver¬
ſer Spiegel ſogar, der mir, als ich mich vor Schmerz von ihrem Sterben wegkehrte, meine erblaſſende Schweſter noch einmal zeigte, die Fenſter, aus de¬ nen mein Auge ſo oft des Tages auf einen trauri¬ gen dornenvollen Roſenſtrauch und auf einen ewig geſchloßenen Huͤgel kommen muß, alles das darf ja wohl meinem Herzen einige Seufzer mehr geben als eine Gluͤckliche ſonſt haben ſoll. Ich weiß nicht, ſagten Sie oder Emanuel es: »der Gedanke des Todes muß nur unſer Beſſerungsmittel aber nicht unſer Endzweck ſeyn; wenn in das Herz wie in die Herzblaͤtter einer Blume die Grabeserde faͤllt, ſo zerſtoͤret ſie, anſtatt zu befruchten.» — Aber auf mein Laub hat wohl das Schickſal und Guilia ſchon einige Erde geworfen. — Und ich trage ſie gern, da ich ſeit Ihrer Freundſchaft nun zu einem Herzen fluͤchten kann, vor dem ich meines oͤfnen darf, um ihm darin alle Kuͤmmerniße, alle Seufzer, alle Zwei¬ fel, alle Fragen einer gedruͤckten Seele zu zeigen. O ich danke dem Allguͤtigen, daß er mir ſoviel als er mir in meinem Lehrer zu entziehen drohet, ſchon voraus in ſeinem Freunde wieder giebt — meine Freundſchaft wird unſern Emanuel nachreichen bis in die andre Welt und ſeinen Liebling begleiten durch dieſe; und ſollte einmal auf uns beide der ge¬ meinſchaftliche Schlag ſeines Todes fallen, ſo wuͤr¬ den wir unſere vereinigten Thraͤnen geduldiger ver¬
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ſer Spiegel ſogar, der mir, als ich mich vor Schmerz
von ihrem Sterben wegkehrte, meine erblaſſende
Schweſter noch einmal zeigte, die Fenſter, aus de¬
nen mein Auge ſo oft des Tages auf einen trauri¬
gen dornenvollen Roſenſtrauch und auf einen ewig
geſchloßenen Huͤgel kommen muß, alles das darf ja
wohl meinem Herzen einige Seufzer mehr geben als
eine Gluͤckliche ſonſt haben ſoll. Ich weiß nicht,
ſagten Sie oder Emanuel es: »der Gedanke des
Todes muß nur unſer Beſſerungsmittel aber nicht
unſer Endzweck ſeyn; wenn in das Herz wie in die
Herzblaͤtter einer Blume die Grabeserde faͤllt, ſo
zerſtoͤret ſie, anſtatt zu befruchten.» — Aber auf
mein Laub hat wohl das Schickſal und Guilia ſchon
einige Erde geworfen. — Und ich trage ſie gern, da
ich ſeit Ihrer Freundſchaft nun zu einem Herzen
fluͤchten kann, vor dem ich meines oͤfnen darf, um
ihm darin alle Kuͤmmerniße, alle Seufzer, alle Zwei¬
fel, alle Fragen einer gedruͤckten Seele zu zeigen.
O ich danke dem Allguͤtigen, daß er mir ſoviel als
er mir in meinem Lehrer zu entziehen drohet,
ſchon voraus in ſeinem Freunde wieder giebt —
meine Freundſchaft wird unſern Emanuel nachreichen
bis in die andre Welt und ſeinen Liebling begleiten
durch dieſe; und ſollte einmal auf uns beide der ge¬
meinſchaftliche Schlag ſeines Todes fallen, ſo wuͤr¬
den wir unſere vereinigten Thraͤnen geduldiger ver¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/64>, abgerufen am 25.11.2024.
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