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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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"Spielender Unterricht heisset nicht, dem Kin¬
de Anstrengungen ersparen und abnehmen, sondern
eine Leidenschaft in ihm erwecken, die ihm die
stärksten aufnöthigt und leichter macht. Nun tau¬
gen dazu durchaus keine unlustige Leidenschaften --
Furcht vor Tadel, vor Strafe etc. -- sondern freu¬
dige: spielend erlernten alle Mädchen von Schee¬
rau das Arabische, wenn ihre Liebhaber in keiner
andern Sprache an sie schrieben als in dieser syno¬
nimischen. Hoffnung des Lob's ist's, das Kindern
(das Lob äusserer Vorzüge ausgenommen) weit we¬
niger schadet als Tadel und gegen das sich keines,
am wenigsten das beste verstocken kann. Ich will
Ihnen sagen, was mein Hofmeister für pädagogi¬
sche Ränke anwandte: er nähte sich ein Ziffern¬
buch; in diesem gab er jedem Glied seines Ly¬
zeums (19 waren) für jede Arbeit eine große oder
kleine Zahl; diese Zahlen erwarben, wenn sie auf
eine gewisse festgesetzte Summe gestiegen waren,
einen Adels- und Fleißbrief, worauf man sein Lob
mit nach Hause nahm. Da Belohnungen kraftlos
werden, die zu oft oder erst von weitem kom¬
men: so setzte er auf diese geschickte Art den Weg
zur entfernten Belohnung aus täglichen kleinen

„Spielender Unterricht heiſſet nicht, dem Kin¬
de Anſtrengungen erſparen und abnehmen, ſondern
eine Leidenſchaft in ihm erwecken, die ihm die
ſtaͤrkſten aufnoͤthigt und leichter macht. Nun tau¬
gen dazu durchaus keine unluſtige Leidenſchaften —
Furcht vor Tadel, vor Strafe ꝛc. — ſondern freu¬
dige: ſpielend erlernten alle Maͤdchen von Schee¬
rau das Arabiſche, wenn ihre Liebhaber in keiner
andern Sprache an ſie ſchrieben als in dieſer ſyno¬
nimiſchen. Hoffnung des Lob's iſt's, das Kindern
(das Lob aͤuſſerer Vorzuͤge ausgenommen) weit we¬
niger ſchadet als Tadel und gegen das ſich keines,
am wenigſten das beſte verſtocken kann. Ich will
Ihnen ſagen, was mein Hofmeiſter fuͤr paͤdagogi¬
ſche Raͤnke anwandte: er naͤhte ſich ein Ziffern¬
buch; in dieſem gab er jedem Glied ſeines Ly¬
zeums (19 waren) fuͤr jede Arbeit eine große oder
kleine Zahl; dieſe Zahlen erwarben, wenn ſie auf
eine gewiſſe feſtgeſetzte Summe geſtiegen waren,
einen Adels- und Fleißbrief, worauf man ſein Lob
mit nach Hauſe nahm. Da Belohnungen kraftlos
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men: ſo ſetzte er auf dieſe geſchickte Art den Weg
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[185/0221] „Spielender Unterricht heiſſet nicht, dem Kin¬ de Anſtrengungen erſparen und abnehmen, ſondern eine Leidenſchaft in ihm erwecken, die ihm die ſtaͤrkſten aufnoͤthigt und leichter macht. Nun tau¬ gen dazu durchaus keine unluſtige Leidenſchaften — Furcht vor Tadel, vor Strafe ꝛc. — ſondern freu¬ dige: ſpielend erlernten alle Maͤdchen von Schee¬ rau das Arabiſche, wenn ihre Liebhaber in keiner andern Sprache an ſie ſchrieben als in dieſer ſyno¬ nimiſchen. Hoffnung des Lob's iſt's, das Kindern (das Lob aͤuſſerer Vorzuͤge ausgenommen) weit we¬ niger ſchadet als Tadel und gegen das ſich keines, am wenigſten das beſte verſtocken kann. Ich will Ihnen ſagen, was mein Hofmeiſter fuͤr paͤdagogi¬ ſche Raͤnke anwandte: er naͤhte ſich ein Ziffern¬ buch; in dieſem gab er jedem Glied ſeines Ly¬ zeums (19 waren) fuͤr jede Arbeit eine große oder kleine Zahl; dieſe Zahlen erwarben, wenn ſie auf eine gewiſſe feſtgeſetzte Summe geſtiegen waren, einen Adels- und Fleißbrief, worauf man ſein Lob mit nach Hauſe nahm. Da Belohnungen kraftlos werden, die zu oft oder erſt von weitem kom¬ men: ſo ſetzte er auf dieſe geſchickte Art den Weg zur entfernten Belohnung aus taͤglichen kleinen

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/221>, abgerufen am 24.11.2024.