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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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ches Geschlecht der Anblick nicht, daß die meisten
nicht von einem Tage zum andern sondern von ei¬
nem Schmerze zum andern leben und von einer
Thräne zur andern. . . .

In Gustav wohnte das zweite Ich (der Freund)
fast mit dem ersten unter Einem Dache, unter der
Hirnschaal und Hirnhaut: ich meine, er liebte
am andern weniger was er sah als was er sich
dachte; seine Gefühle waren überhaupt näher und
dichter um seine Ideen als um seine Sinne: daher
wurde oft die Freundschafts-Flamme, die so hoch
vor dem Bilde des Freundes empor gieng, durch
den Körper desselben gebogen und abgetrieben. Da¬
her empfieng er seinen Amandus, weil überhaupt
eine Ankunft weniger erwärmt als ein Abschied,
mit einer Wärme, die aus seinem Innern nicht
völlig bis zu seinem Aeußern reichte -- aber Oefel
der beobachtete, hatte mit sechs Blicken heraus,
der neue Kadet sei adelstolz[.]

Unter allen Kriegs-Katechumenen hatte Gu¬
stav die meiste Noth. Aus einer stillen Karthause
war er in ein Polter-Zimmer verbannt, wo die
drei Kadetten ihm den ganzen Tag die Ohren mit
Rapierstößen, Kartenschlägen und Flüchen beschos¬

ches Geſchlecht der Anblick nicht, daß die meiſten
nicht von einem Tage zum andern ſondern von ei¬
nem Schmerze zum andern leben und von einer
Thraͤne zur andern. . . .

In Guſtav wohnte das zweite Ich (der Freund)
faſt mit dem erſten unter Einem Dache, unter der
Hirnſchaal und Hirnhaut: ich meine, er liebte
am andern weniger was er ſah als was er ſich
dachte; ſeine Gefuͤhle waren uͤberhaupt naͤher und
dichter um ſeine Ideen als um ſeine Sinne: daher
wurde oft die Freundſchafts-Flamme, die ſo hoch
vor dem Bilde des Freundes empor gieng, durch
den Koͤrper deſſelben gebogen und abgetrieben. Da¬
her empfieng er ſeinen Amandus, weil uͤberhaupt
eine Ankunft weniger erwaͤrmt als ein Abſchied,
mit einer Waͤrme, die aus ſeinem Innern nicht
voͤllig bis zu ſeinem Aeußern reichte — aber Oefel
der beobachtete, hatte mit ſechs Blicken heraus,
der neue Kadet ſei adelſtolz[.]

Unter allen Kriegs-Katechumenen hatte Gu¬
ſtav die meiſte Noth. Aus einer ſtillen Karthauſe
war er in ein Polter-Zimmer verbannt, wo die
drei Kadetten ihm den ganzen Tag die Ohren mit
Rapierſtoͤßen, Kartenſchlaͤgen und Fluͤchen beſchoſ¬

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[295/0331] ches Geſchlecht der Anblick nicht, daß die meiſten nicht von einem Tage zum andern ſondern von ei¬ nem Schmerze zum andern leben und von einer Thraͤne zur andern. . . . In Guſtav wohnte das zweite Ich (der Freund) faſt mit dem erſten unter Einem Dache, unter der Hirnſchaal und Hirnhaut: ich meine, er liebte am andern weniger was er ſah als was er ſich dachte; ſeine Gefuͤhle waren uͤberhaupt naͤher und dichter um ſeine Ideen als um ſeine Sinne: daher wurde oft die Freundſchafts-Flamme, die ſo hoch vor dem Bilde des Freundes empor gieng, durch den Koͤrper deſſelben gebogen und abgetrieben. Da¬ her empfieng er ſeinen Amandus, weil uͤberhaupt eine Ankunft weniger erwaͤrmt als ein Abſchied, mit einer Waͤrme, die aus ſeinem Innern nicht voͤllig bis zu ſeinem Aeußern reichte — aber Oefel der beobachtete, hatte mit ſechs Blicken heraus, der neue Kadet ſei adelſtolz. Unter allen Kriegs-Katechumenen hatte Gu¬ ſtav die meiſte Noth. Aus einer ſtillen Karthauſe war er in ein Polter-Zimmer verbannt, wo die drei Kadetten ihm den ganzen Tag die Ohren mit Rapierſtoͤßen, Kartenſchlaͤgen und Fluͤchen beſchoſ¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/331>, abgerufen am 22.11.2024.