vergess' ich die grünende Natur und die Kontrami¬ nen, womit wir sie in die Luft aufschleudern ler¬ nen und sehe bloß die langen Flöre, die an den Stangen aus dem Hause eines Färbers gegenüber in die Höhe fliegen, schon wie Nächte über den Gesichtern armer Mütter hängen, damit der Thau des Jammers im Dunkeln hinter den Leichen falle, die wir am Morgen machen lernen. -- -- Ach! seitdem es keinen Tod mehr für, sondern nur wi¬ der das Vaterland giebt, seitdem ich, wenn ich mein Leben preiß gebe, keines errette sondern nur eines binde, seitdem muß ich wünschen, daß man mir, wenn mich der Krieg einmal ins Tödten hin¬ eintrommelt, vorher die Augen mit Pulver blind¬ brenne, damit ich in die Brust nicht steche, die ich sehe, und die schöne Gestalt nicht bedaure, die ich zerschnitze und nur sterbe aber nicht tödte. . . . O da ich noch aus Karthausen, noch aus Ihrem Studierzimmer in die Welt hinaussah, da breite¬ te sie sich vor mir schöner und größer aus mit wo¬ genden Wäldern und flammenden Seen und tau¬ sendfach kolorirten Auen -- jetzt steh' ich daran und sehe das kahle Nadelholz mit kothigen Wurzeln, den schwarzen Teich voll Sumpf und die einmäh¬
vergeſſ' ich die gruͤnende Natur und die Kontrami¬ nen, womit wir ſie in die Luft aufſchleudern ler¬ nen und ſehe bloß die langen Floͤre, die an den Stangen aus dem Hauſe eines Faͤrbers gegenuͤber in die Hoͤhe fliegen, ſchon wie Naͤchte uͤber den Geſichtern armer Muͤtter haͤngen, damit der Thau des Jammers im Dunkeln hinter den Leichen falle, die wir am Morgen machen lernen. — — Ach! ſeitdem es keinen Tod mehr fuͤr, ſondern nur wi¬ der das Vaterland giebt, ſeitdem ich, wenn ich mein Leben preiß gebe, keines errette ſondern nur eines binde, ſeitdem muß ich wuͤnſchen, daß man mir, wenn mich der Krieg einmal ins Toͤdten hin¬ eintrommelt, vorher die Augen mit Pulver blind¬ brenne, damit ich in die Bruſt nicht ſteche, die ich ſehe, und die ſchoͤne Geſtalt nicht bedaure, die ich zerſchnitze und nur ſterbe aber nicht toͤdte. . . . O da ich noch aus Karthauſen, noch aus Ihrem Studierzimmer in die Welt hinausſah, da breite¬ te ſie ſich vor mir ſchoͤner und groͤßer aus mit wo¬ genden Waͤldern und flammenden Seen und tau¬ ſendfach kolorirten Auen — jetzt ſteh' ich daran und ſehe das kahle Nadelholz mit kothigen Wurzeln, den ſchwarzen Teich voll Sumpf und die einmaͤh¬
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vergeſſ' ich die gruͤnende Natur und die Kontrami¬
nen, womit wir ſie in die Luft aufſchleudern ler¬
nen und ſehe bloß die langen Floͤre, die an den
Stangen aus dem Hauſe eines Faͤrbers gegenuͤber
in die Hoͤhe fliegen, ſchon wie Naͤchte uͤber den
Geſichtern armer Muͤtter haͤngen, damit der Thau
des Jammers im Dunkeln hinter den Leichen falle,
die wir am Morgen machen lernen. — — Ach!
ſeitdem es keinen Tod mehr fuͤr, ſondern nur wi¬
der das Vaterland giebt, ſeitdem ich, wenn ich
mein Leben preiß gebe, keines errette ſondern nur
eines binde, ſeitdem muß ich wuͤnſchen, daß man
mir, wenn mich der Krieg einmal ins Toͤdten hin¬
eintrommelt, vorher die Augen mit Pulver blind¬
brenne, damit ich in die Bruſt nicht ſteche, die
ich ſehe, und die ſchoͤne Geſtalt nicht bedaure, die
ich zerſchnitze und nur ſterbe aber nicht toͤdte. . . .
O da ich noch aus Karthauſen, noch aus Ihrem
Studierzimmer in die Welt hinausſah, da breite¬
te ſie ſich vor mir ſchoͤner und groͤßer aus mit wo¬
genden Waͤldern und flammenden Seen und tau¬
ſendfach kolorirten Auen — jetzt ſteh' ich daran und
ſehe das kahle Nadelholz mit kothigen Wurzeln,
den ſchwarzen Teich voll Sumpf und die einmaͤh¬
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/336>, abgerufen am 22.11.2024.
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