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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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der Amor so mit lilliputischen Pfeilen voll geschos¬
sen hatte wie ein Nähküssen mit Nadeln.

Er sagte noch in jenem Tage, "ist das Herz
einer Frau einmal so weit, so braucht man nichts
zu thun als daß man sie thun lässet." Das war
ihm herzlich lieb: denn es ersparte ihm die --
Bedenklichkeit, sie zu verführen. So oft er Love¬
lacens oder des Chevaliers. *) Briefe las: so
wünschte er, sein einfältiges Gewissen ließ' ihm zu,
ein ganz unschuldiges widerstrebendes Mädgen nach
einem feinen Plane zu verführen. Aber sein Ge¬
wissen nahm keine Vernunft an und er muste sein
ganzes Kaper-Vergnügen auf die Verführung sol¬
cher unschuldigen Personen, die er in seinem Ko¬
pfe oder in seinem Roman agieren ließ, einschrän¬
ken: so sehr herrschet im schwachen Menschen die
Empfindung über die Entschließungen der Vernunft,
sogar in philosophischen Damen. Mithin blieben
der Weiberkenntniß Oefels statt der Fangeisen für
die Unschuld nur die für die Schuld zu legen übrig
und das einzige wo er noch mit Ruhm arbeiten
konnte war das, der Verführer von Verführerin¬
nen zu seyn.

*) In den liasons dangereuses.

der Amor ſo mit lilliputiſchen Pfeilen voll geſchoſ¬
ſen hatte wie ein Naͤhkuͤſſen mit Nadeln.

Er ſagte noch in jenem Tage, „iſt das Herz
einer Frau einmal ſo weit, ſo braucht man nichts
zu thun als daß man ſie thun laͤſſet.“ Das war
ihm herzlich lieb: denn es erſparte ihm die —
Bedenklichkeit, ſie zu verfuͤhren. So oft er Love¬
lacens oder des Chevaliers. *) Briefe las: ſo
wuͤnſchte er, ſein einfaͤltiges Gewiſſen ließ' ihm zu,
ein ganz unſchuldiges widerſtrebendes Maͤdgen nach
einem feinen Plane zu verfuͤhren. Aber ſein Ge¬
wiſſen nahm keine Vernunft an und er muſte ſein
ganzes Kaper-Vergnuͤgen auf die Verfuͤhrung ſol¬
cher unſchuldigen Perſonen, die er in ſeinem Ko¬
pfe oder in ſeinem Roman agieren ließ, einſchraͤn¬
ken: ſo ſehr herrſchet im ſchwachen Menſchen die
Empfindung uͤber die Entſchließungen der Vernunft,
ſogar in philoſophiſchen Damen. Mithin blieben
der Weiberkenntniß Oefels ſtatt der Fangeiſen fuͤr
die Unſchuld nur die fuͤr die Schuld zu legen uͤbrig
und das einzige wo er noch mit Ruhm arbeiten
konnte war das, der Verfuͤhrer von Verfuͤhrerin¬
nen zu ſeyn.

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[185/0195] der Amor ſo mit lilliputiſchen Pfeilen voll geſchoſ¬ ſen hatte wie ein Naͤhkuͤſſen mit Nadeln. Er ſagte noch in jenem Tage, „iſt das Herz einer Frau einmal ſo weit, ſo braucht man nichts zu thun als daß man ſie thun laͤſſet.“ Das war ihm herzlich lieb: denn es erſparte ihm die — Bedenklichkeit, ſie zu verfuͤhren. So oft er Love¬ lacens oder des Chevaliers. *) Briefe las: ſo wuͤnſchte er, ſein einfaͤltiges Gewiſſen ließ' ihm zu, ein ganz unſchuldiges widerſtrebendes Maͤdgen nach einem feinen Plane zu verfuͤhren. Aber ſein Ge¬ wiſſen nahm keine Vernunft an und er muſte ſein ganzes Kaper-Vergnuͤgen auf die Verfuͤhrung ſol¬ cher unſchuldigen Perſonen, die er in ſeinem Ko¬ pfe oder in ſeinem Roman agieren ließ, einſchraͤn¬ ken: ſo ſehr herrſchet im ſchwachen Menſchen die Empfindung uͤber die Entſchließungen der Vernunft, ſogar in philoſophiſchen Damen. Mithin blieben der Weiberkenntniß Oefels ſtatt der Fangeiſen fuͤr die Unſchuld nur die fuͤr die Schuld zu legen uͤbrig und das einzige wo er noch mit Ruhm arbeiten konnte war das, der Verfuͤhrer von Verfuͤhrerin¬ nen zu ſeyn. *) In den liasons dangereuses.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/195>, abgerufen am 21.11.2024.