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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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Das Fest zerspällt sich in drei Gänge -- Come¬
die -- Souper -- und bal pare. Im Grunde ist
noch ein vierter Gang: ein Verbrechen.

Am Tage des Drama leerte sich das neue
Schloß in das fürstliche zu Oberscheerau aus. Gu¬
stav dachte unterwegs (im Wagen Oefels) an sei¬
nen Brief, den er übergeben wollte; und an den
guten Doktor Fenk ein wenig; aber die abgekürz¬
ten Tage gaben ihm zu Besuchen keine Muße. Sein
Fehler war, daß die Gegenwart vor ihm allemal
wie ein Wasserfall alle ferne Laute überrauschte --
er wäre vielleicht nicht einmal zu mir gekommen,
wenn mich mein beschwerter juristischer Arbeitstisch
in die Stadt gelassen hätte.

Er sah seine Marie -- zehnmal hunderttausend
neue Reitze . . . . ich will aber über mich herrschen:
so viel ist psychologisch wahr, daß ein bekanntes
Mädchen uns an einem fremden Orte auch fremd,
aber nur desto schöner wird. Dieses hatte sie mit
der stralenden Residentin gemein, aber ein gewis¬
ser Hauch von bescheidner Furchtsamkeit verschöner¬
te Beaten mit seinem Schleier allein. Warum war
Gustav diesesmal von ihr verschieden? Darum: die
männliche Blödigkeit liegt bloß in der Erziehung

Das Feſt zerſpaͤllt ſich in drei Gaͤnge — Comé¬
dieSouper — und bal paré. Im Grunde iſt
noch ein vierter Gang: ein Verbrechen.

Am Tage des Drama leerte ſich das neue
Schloß in das fuͤrſtliche zu Oberſcheerau aus. Gu¬
ſtav dachte unterwegs (im Wagen Oefels) an ſei¬
nen Brief, den er uͤbergeben wollte; und an den
guten Doktor Fenk ein wenig; aber die abgekuͤrz¬
ten Tage gaben ihm zu Beſuchen keine Muße. Sein
Fehler war, daß die Gegenwart vor ihm allemal
wie ein Waſſerfall alle ferne Laute uͤberrauſchte —
er waͤre vielleicht nicht einmal zu mir gekommen,
wenn mich mein beſchwerter juriſtiſcher Arbeitstiſch
in die Stadt gelaſſen haͤtte.

Er ſah ſeine Marie — zehnmal hunderttauſend
neue Reitze . . . . ich will aber uͤber mich herrſchen:
ſo viel iſt pſychologiſch wahr, daß ein bekanntes
Maͤdchen uns an einem fremden Orte auch fremd,
aber nur deſto ſchoͤner wird. Dieſes hatte ſie mit
der ſtralenden Reſidentin gemein, aber ein gewiſ¬
ſer Hauch von beſcheidner Furchtſamkeit verſchoͤner¬
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[201/0211] Das Feſt zerſpaͤllt ſich in drei Gaͤnge — Comé¬ die — Souper — und bal paré. Im Grunde iſt noch ein vierter Gang: ein Verbrechen. Am Tage des Drama leerte ſich das neue Schloß in das fuͤrſtliche zu Oberſcheerau aus. Gu¬ ſtav dachte unterwegs (im Wagen Oefels) an ſei¬ nen Brief, den er uͤbergeben wollte; und an den guten Doktor Fenk ein wenig; aber die abgekuͤrz¬ ten Tage gaben ihm zu Beſuchen keine Muße. Sein Fehler war, daß die Gegenwart vor ihm allemal wie ein Waſſerfall alle ferne Laute uͤberrauſchte — er waͤre vielleicht nicht einmal zu mir gekommen, wenn mich mein beſchwerter juriſtiſcher Arbeitstiſch in die Stadt gelaſſen haͤtte. Er ſah ſeine Marie — zehnmal hunderttauſend neue Reitze . . . . ich will aber uͤber mich herrſchen: ſo viel iſt pſychologiſch wahr, daß ein bekanntes Maͤdchen uns an einem fremden Orte auch fremd, aber nur deſto ſchoͤner wird. Dieſes hatte ſie mit der ſtralenden Reſidentin gemein, aber ein gewiſ¬ ſer Hauch von beſcheidner Furchtſamkeit verſchoͤner¬ te Beaten mit ſeinem Schleier allein. Warum war Guſtav dieſesmal von ihr verſchieden? Darum: die maͤnnliche Bloͤdigkeit liegt bloß in der Erziehung

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/211>, abgerufen am 21.11.2024.