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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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zum Glück kannst du doch nicht mein Auge, nicht
meinen von Schmerzen zitternden Mund und mein
zertrümmertes Herz erblicken, womit ich jezt al¬
len meinen schönen Tagen ein Ende mache -- wenn
du mich jezt schreiben sähest: so würde die weichste
Seele, die noch auf der Erde getröstet hat, sich
zwischen mich und meinen schlagenden Kummer
stellen und mich bedecken wollen: sie würde mich
heilend anblicken und fragen, was mich quäle . . .
Ach gutes treues Herz! frage mich es nicht: ich
müste antworten, meine Quaal, meine unsterbli¬
che Folter, meine Vipern-Wunde heißet verlorne
Unschuld . . . . Dann würde sich deine ewige
Unschuld erschrocken wegwenden und mich nicht trö¬
sten: ich würde einsam liegen bleiben und der
Schmerz stände aufrecht mit der Geißel bei
mir, ach ich würde nicht einmal das Haupt auf¬
heben, um allen guten Stunden die sich in deiner
Gestalt von mir wegbegeben, verlassen nachzuse¬
hen. -- Ach es ist schon so und du bist ja schon
gegangen! Amandus! trennt dich der Himmel
ganz von mir und kannst du, der du mir die Li¬
lien-Hand Beatens gegeben, nicht meine befleckte
sehen, die nicht mehr für die reinste gehört? --

zum Gluͤck kannſt du doch nicht mein Auge, nicht
meinen von Schmerzen zitternden Mund und mein
zertruͤmmertes Herz erblicken, womit ich jezt al¬
len meinen ſchoͤnen Tagen ein Ende mache — wenn
du mich jezt ſchreiben ſaͤheſt: ſo wuͤrde die weichſte
Seele, die noch auf der Erde getroͤſtet hat, ſich
zwiſchen mich und meinen ſchlagenden Kummer
ſtellen und mich bedecken wollen: ſie wuͤrde mich
heilend anblicken und fragen, was mich quaͤle . . .
Ach gutes treues Herz! frage mich es nicht: ich
muͤſte antworten, meine Quaal, meine unſterbli¬
che Folter, meine Vipern-Wunde heißet verlorne
Unſchuld . . . . Dann wuͤrde ſich deine ewige
Unſchuld erſchrocken wegwenden und mich nicht troͤ¬
ſten: ich wuͤrde einſam liegen bleiben und der
Schmerz ſtaͤnde aufrecht mit der Geißel bei
mir, ach ich wuͤrde nicht einmal das Haupt auf¬
heben, um allen guten Stunden die ſich in deiner
Geſtalt von mir wegbegeben, verlaſſen nachzuſe¬
hen. — Ach es iſt ſchon ſo und du biſt ja ſchon
gegangen! Amandus! trennt dich der Himmel
ganz von mir und kannſt du, der du mir die Li¬
lien-Hand Beatens gegeben, nicht meine befleckte
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[242/0252] zum Gluͤck kannſt du doch nicht mein Auge, nicht meinen von Schmerzen zitternden Mund und mein zertruͤmmertes Herz erblicken, womit ich jezt al¬ len meinen ſchoͤnen Tagen ein Ende mache — wenn du mich jezt ſchreiben ſaͤheſt: ſo wuͤrde die weichſte Seele, die noch auf der Erde getroͤſtet hat, ſich zwiſchen mich und meinen ſchlagenden Kummer ſtellen und mich bedecken wollen: ſie wuͤrde mich heilend anblicken und fragen, was mich quaͤle . . . Ach gutes treues Herz! frage mich es nicht: ich muͤſte antworten, meine Quaal, meine unſterbli¬ che Folter, meine Vipern-Wunde heißet verlorne Unſchuld . . . . Dann wuͤrde ſich deine ewige Unſchuld erſchrocken wegwenden und mich nicht troͤ¬ ſten: ich wuͤrde einſam liegen bleiben und der Schmerz ſtaͤnde aufrecht mit der Geißel bei mir, ach ich wuͤrde nicht einmal das Haupt auf¬ heben, um allen guten Stunden die ſich in deiner Geſtalt von mir wegbegeben, verlaſſen nachzuſe¬ hen. — Ach es iſt ſchon ſo und du biſt ja ſchon gegangen! Amandus! trennt dich der Himmel ganz von mir und kannſt du, der du mir die Li¬ lien-Hand Beatens gegeben, nicht meine befleckte ſehen, die nicht mehr fuͤr die reinſte gehoͤrt? —

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/252>, abgerufen am 22.11.2024.