ach wenn du lebtest: so hätt' ich ja dich auch ver¬ loren. . . . O daß es doch Stunden hienieden geben kann, die den vollen Freudenbecher des ganzen Le¬ bens tragen und die mit einem Fall ihn zersplittern und die Labung aller, aller Jahre verschütten dürfen!
Beata! nun gehen wir auseinander, du ver¬ dienst ein treueres Herz als meines war, ich verdien¬ te deines nicht -- ich habe nichts mehr was du lie¬ ben könntest -- mein Bild in deinem Herzen muß zer¬ rissen werden -- deines steht ewig in meinem fest, aber es sieht mich nimmer mit dem Auge der Liebe sondern mit einem zugesunknen an, das über den Ort weint wo es steht. . . . Ach Beata, ich kann meinen Brief kaum endigen; so bald seine letzte Zei¬ le steht, so sind wir aus einander gerissen, und hö¬ ren uns nie mehr und kennen uns nimmer -- -- O Gott! wie wenig hilft die Reue und das Beweinen! Niemand stellet das heiße Herz des Menschen her, wenn nichts in ihm mehr ist als der harte große Kum¬ mer, den es wie ein Vulkan ein Felsenstück empor und heraus zu werfen sucht und der immer wieder in den lodernden Krater zurück stürzt; nichts heilt uns, nichts giebt dem entblätterten Menschen das ge¬ fallne Laub wieder, Ottomar behält Recht, daß das
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ach wenn du lebteſt: ſo haͤtt' ich ja dich auch ver¬ loren. . . . O daß es doch Stunden hienieden geben kann, die den vollen Freudenbecher des ganzen Le¬ bens tragen und die mit einem Fall ihn zerſplittern und die Labung aller, aller Jahre verſchuͤtten duͤrfen!
Beata! nun gehen wir auseinander, du ver¬ dienſt ein treueres Herz als meines war, ich verdien¬ te deines nicht — ich habe nichts mehr was du lie¬ ben koͤnnteſt — mein Bild in deinem Herzen muß zer¬ riſſen werden — deines ſteht ewig in meinem feſt, aber es ſieht mich nimmer mit dem Auge der Liebe ſondern mit einem zugeſunknen an, das uͤber den Ort weint wo es ſteht. . . . Ach Beata, ich kann meinen Brief kaum endigen; ſo bald ſeine letzte Zei¬ le ſteht, ſo ſind wir aus einander geriſſen, und hoͤ¬ ren uns nie mehr und kennen uns nimmer — — O Gott! wie wenig hilft die Reue und das Beweinen! Niemand ſtellet das heiße Herz des Menſchen her, wenn nichts in ihm mehr iſt als der harte große Kum¬ mer, den es wie ein Vulkan ein Felſenſtuͤck empor und heraus zu werfen ſucht und der immer wieder in den lodernden Krater zuruͤck ſtuͤrzt; nichts heilt uns, nichts giebt dem entblaͤtterten Menſchen das ge¬ fallne Laub wieder, Ottomar behaͤlt Recht, daß das
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ach wenn du lebteſt: ſo haͤtt' ich ja dich auch ver¬
loren. . . . O daß es doch Stunden hienieden geben
kann, die den vollen Freudenbecher des ganzen Le¬
bens tragen und die mit einem Fall ihn zerſplittern
und die Labung aller, aller Jahre verſchuͤtten duͤrfen!
Beata! nun gehen wir auseinander, du ver¬
dienſt ein treueres Herz als meines war, ich verdien¬
te deines nicht — ich habe nichts mehr was du lie¬
ben koͤnnteſt — mein Bild in deinem Herzen muß zer¬
riſſen werden — deines ſteht ewig in meinem feſt,
aber es ſieht mich nimmer mit dem Auge der Liebe
ſondern mit einem zugeſunknen an, das uͤber den
Ort weint wo es ſteht. . . . Ach Beata, ich kann
meinen Brief kaum endigen; ſo bald ſeine letzte Zei¬
le ſteht, ſo ſind wir aus einander geriſſen, und hoͤ¬
ren uns nie mehr und kennen uns nimmer — — O
Gott! wie wenig hilft die Reue und das Beweinen!
Niemand ſtellet das heiße Herz des Menſchen her,
wenn nichts in ihm mehr iſt als der harte große Kum¬
mer, den es wie ein Vulkan ein Felſenſtuͤck empor
und heraus zu werfen ſucht und der immer wieder
in den lodernden Krater zuruͤck ſtuͤrzt; nichts heilt
uns, nichts giebt dem entblaͤtterten Menſchen das ge¬
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/253>, abgerufen am 22.11.2024.
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