Leben des Menschen wie ein Vollmond, über lauter Nächte ziehe. . .
Ach es muß doch seyn! leb nur wohl, Freundin! Gustav war der Stunde, die du jezt haben wirst, nicht werth. Dein heiliges Herz, dem er Wunden gegeben, verbinde ein Engel und im Bande der Freundschaft trage du es still! meinen letzten freu¬ digen Brief, wo ich mich nicht mit meinem über¬ schwenglichen Glück begnügte, leg' in diesen trostlo¬ sen, in dem ich nichts mehr habe, und verbrenne sie mit einander! kein Voreiliger sage dir künftig nach vielen Jahren, daß ich noch lebe, daß ich den langen Schmerz, mit dem ich mein versunknes Glück abbüße, wie Dornen in meine verlaßene Brust gedrückt und daß in meinem trüben Lebenstage die Nacht früher komme, die zwischen zwei Welten liegt! wenn einmal dein Bruder mit einem schönerem Herzen an deines sinkt: so sag' es ihm nicht, so sag' es dir selbst nicht, wer ihm ähnlich sah -- und wenn einmal dein Thrä¬ nen-Auge auf die weiße Pyramide fällt: so wend' es ab und vergiß, daß ich dort so glücklich war -- ach! aber ich vergeß' es nicht, ich wende das Auge nicht ab und könnte der Mensch sterben an der Erinne¬ rung, ich gienge zu Amandus Grabe und stürbe --
Leben des Menſchen wie ein Vollmond, uͤber lauter Naͤchte ziehe. . .
Ach es muß doch ſeyn! leb nur wohl, Freundin! Guſtav war der Stunde, die du jezt haben wirſt, nicht werth. Dein heiliges Herz, dem er Wunden gegeben, verbinde ein Engel und im Bande der Freundſchaft trage du es ſtill! meinen letzten freu¬ digen Brief, wo ich mich nicht mit meinem uͤber¬ ſchwenglichen Gluͤck begnuͤgte, leg' in dieſen troſtlo¬ ſen, in dem ich nichts mehr habe, und verbrenne ſie mit einander! kein Voreiliger ſage dir kuͤnftig nach vielen Jahren, daß ich noch lebe, daß ich den langen Schmerz, mit dem ich mein verſunknes Gluͤck abbuͤße, wie Dornen in meine verlaßene Bruſt gedruͤckt und daß in meinem truͤben Lebenstage die Nacht fruͤher komme, die zwiſchen zwei Welten liegt! wenn einmal dein Bruder mit einem ſchoͤnerem Herzen an deines ſinkt: ſo ſag' es ihm nicht, ſo ſag' es dir ſelbſt nicht, wer ihm aͤhnlich ſah — und wenn einmal dein Thraͤ¬ nen-Auge auf die weiße Pyramide faͤllt: ſo wend' es ab und vergiß, daß ich dort ſo gluͤcklich war — ach! aber ich vergeß' es nicht, ich wende das Auge nicht ab und koͤnnte der Menſch ſterben an der Erinne¬ rung, ich gienge zu Amandus Grabe und ſtuͤrbe —
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Leben des Menſchen wie ein Vollmond, uͤber lauter
Naͤchte ziehe. . .
Ach es muß doch ſeyn! leb nur wohl, Freundin!
Guſtav war der Stunde, die du jezt haben wirſt,
nicht werth. Dein heiliges Herz, dem er Wunden
gegeben, verbinde ein Engel und im Bande der
Freundſchaft trage du es ſtill! meinen letzten freu¬
digen Brief, wo ich mich nicht mit meinem uͤber¬
ſchwenglichen Gluͤck begnuͤgte, leg' in dieſen troſtlo¬
ſen, in dem ich nichts mehr habe, und verbrenne ſie
mit einander! kein Voreiliger ſage dir kuͤnftig nach
vielen Jahren, daß ich noch lebe, daß ich den langen
Schmerz, mit dem ich mein verſunknes Gluͤck abbuͤße,
wie Dornen in meine verlaßene Bruſt gedruͤckt und
daß in meinem truͤben Lebenstage die Nacht fruͤher
komme, die zwiſchen zwei Welten liegt! wenn einmal
dein Bruder mit einem ſchoͤnerem Herzen an deines
ſinkt: ſo ſag' es ihm nicht, ſo ſag' es dir ſelbſt nicht,
wer ihm aͤhnlich ſah — und wenn einmal dein Thraͤ¬
nen-Auge auf die weiße Pyramide faͤllt: ſo wend'
es ab und vergiß, daß ich dort ſo gluͤcklich war — ach!
aber ich vergeß' es nicht, ich wende das Auge nicht
ab und koͤnnte der Menſch ſterben an der Erinne¬
rung, ich gienge zu Amandus Grabe und ſtuͤrbe —
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/254>, abgerufen am 22.11.2024.
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