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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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Nichts ist widriger als hundert Vorläufer und
Vorreiter zu einer winzigen Lust zu sehen und zu hö¬
ren; nichts ist aber süßer als selber mit vorzurei¬
ten und vorzulaufen: die Geschäftigkeit, die wir
nicht bloß sehen sondern theilen, macht nachher
das Vergnügen zu einer von uns selbst gesäeten,
besprengten und ausgezognen Frucht; und oben¬
drein befällt uns das Herzgespann des Passens
nicht.

Aber, lieber Himmel, ich brauchte einen gan¬
zen Sonnabend um diesen nur zu rapportiren:
denn ich that nur einen vorbeifliegenden Blick in
die Wuzische Küche -- was da zappelt! was da
raucht! -- Warum ist sich Mord und Hochzeit so
nahe, wie die zwei Gebote die davon reden? War¬
um ist nicht bloß eine fürstliche Vermählung oft für
Menschen, warum ist auch eine bürgerliche für Ge¬
flügel eine Parisische Bluthochzeit?

Niemand brachte aber im Hochzeithaus diese
zwei Freudentage mißvergnügter und fataler zu als
zwei Stechfinken und drei Gimpel: diese inhaftirte
der reinliche und vogelfreundliche Bräutigam sämt¬
lich -- vermittelst eines Treibjagens mit Schürzen
und geworfnen Nachtmützen -- und nöthigte sie,

Nichts iſt widriger als hundert Vorlaͤufer und
Vorreiter zu einer winzigen Luſt zu ſehen und zu hoͤ¬
ren; nichts iſt aber ſuͤßer als ſelber mit vorzurei¬
ten und vorzulaufen: die Geſchaͤftigkeit, die wir
nicht bloß ſehen ſondern theilen, macht nachher
das Vergnuͤgen zu einer von uns ſelbſt geſaͤeten,
beſprengten und ausgezognen Frucht; und oben¬
drein befaͤllt uns das Herzgeſpann des Paſſens
nicht.

Aber, lieber Himmel, ich brauchte einen gan¬
zen Sonnabend um dieſen nur zu rapportiren:
denn ich that nur einen vorbeifliegenden Blick in
die Wuziſche Kuͤche — was da zappelt! was da
raucht! — Warum iſt ſich Mord und Hochzeit ſo
nahe, wie die zwei Gebote die davon reden? War¬
um iſt nicht bloß eine fuͤrſtliche Vermaͤhlung oft fuͤr
Menſchen, warum iſt auch eine buͤrgerliche fuͤr Ge¬
fluͤgel eine Pariſiſche Bluthochzeit?

Niemand brachte aber im Hochzeithaus dieſe
zwei Freudentage mißvergnuͤgter und fataler zu als
zwei Stechfinken und drei Gimpel: dieſe inhaftirte
der reinliche und vogelfreundliche Braͤutigam ſaͤmt¬
lich — vermittelſt eines Treibjagens mit Schuͤrzen
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[420/0430] Nichts iſt widriger als hundert Vorlaͤufer und Vorreiter zu einer winzigen Luſt zu ſehen und zu hoͤ¬ ren; nichts iſt aber ſuͤßer als ſelber mit vorzurei¬ ten und vorzulaufen: die Geſchaͤftigkeit, die wir nicht bloß ſehen ſondern theilen, macht nachher das Vergnuͤgen zu einer von uns ſelbſt geſaͤeten, beſprengten und ausgezognen Frucht; und oben¬ drein befaͤllt uns das Herzgeſpann des Paſſens nicht. Aber, lieber Himmel, ich brauchte einen gan¬ zen Sonnabend um dieſen nur zu rapportiren: denn ich that nur einen vorbeifliegenden Blick in die Wuziſche Kuͤche — was da zappelt! was da raucht! — Warum iſt ſich Mord und Hochzeit ſo nahe, wie die zwei Gebote die davon reden? War¬ um iſt nicht bloß eine fuͤrſtliche Vermaͤhlung oft fuͤr Menſchen, warum iſt auch eine buͤrgerliche fuͤr Ge¬ fluͤgel eine Pariſiſche Bluthochzeit? Niemand brachte aber im Hochzeithaus dieſe zwei Freudentage mißvergnuͤgter und fataler zu als zwei Stechfinken und drei Gimpel: dieſe inhaftirte der reinliche und vogelfreundliche Braͤutigam ſaͤmt¬ lich — vermittelſt eines Treibjagens mit Schuͤrzen und geworfnen Nachtmuͤtzen — und noͤthigte ſie,

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/430>, abgerufen am 22.11.2024.