Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

Er war Nachts siebenmal aufgewacht, um sich sie¬
benmal auf den Tag zu freuen; und zwei Stun¬
den früher aufgestanden, um beide Minute für
Minute aufzuessen. Es ist mir als gieng' ich mit
dem Schulmeister zur Thür hinein, vor dem die
Minuten des Tages hinstehn wie Honigzellen -- er
schöpfet eine um die andre aus und jede Minute
trägt einen weitern Honigkelch. Für eine Pension auf
Lebenslang ist dennoch der Kantor nicht vermögend,
sich auf der ganzen Erde ein Haus zu denken, in
dem jetzt nicht Sonntag, Sonnenschein und Freu¬
de ist; nein! -- Das zweite was er unten nach
der Thüre aufthat, war ein Oberfenster, um ei¬
nen auf- und niederwallenden Schmetterling -- einen
schwimmenden Silberflitter, eine Blumen-Folie
und Amors Ebenbild -- aus Hymens Stube
fortzulassen. Dann fütterte er seine Vogel-Kapel¬
le in den Bauern zum Voraus auf den lärmenden
Tag, und fidelte auf der vaterlichen Geige die
Schleifer zum Fenster hinaus, an denen er sich
aus der Fastnacht an die Hochzeitnacht herangetanzt.
Es schlägt erst fünf Uhr, mein Trauter, wir ha¬
ben uns nicht zu übereilen! Wir wollen die zwei
Ellen lange Halsbinde (die du dir auch wie die Braut

Er war Nachts ſiebenmal aufgewacht, um ſich ſie¬
benmal auf den Tag zu freuen; und zwei Stun¬
den fruͤher aufgeſtanden, um beide Minute fuͤr
Minute aufzueſſen. Es iſt mir als gieng' ich mit
dem Schulmeiſter zur Thuͤr hinein, vor dem die
Minuten des Tages hinſtehn wie Honigzellen — er
ſchoͤpfet eine um die andre aus und jede Minute
traͤgt einen weitern Honigkelch. Fuͤr eine Penſion auf
Lebenslang iſt dennoch der Kantor nicht vermoͤgend,
ſich auf der ganzen Erde ein Haus zu denken, in
dem jetzt nicht Sonntag, Sonnenſchein und Freu¬
de iſt; nein! — Das zweite was er unten nach
der Thuͤre aufthat, war ein Oberfenſter, um ei¬
nen auf- und niederwallenden Schmetterling — einen
ſchwimmenden Silberflitter, eine Blumen-Folie
und Amors Ebenbild — aus Hymens Stube
fortzulaſſen. Dann fuͤtterte er ſeine Vogel-Kapel¬
le in den Bauern zum Voraus auf den laͤrmenden
Tag, und fidelte auf der vaterlichen Geige die
Schleifer zum Fenſter hinaus, an denen er ſich
aus der Faſtnacht an die Hochzeitnacht herangetanzt.
Es ſchlaͤgt erſt fuͤnf Uhr, mein Trauter, wir ha¬
ben uns nicht zu uͤbereilen! Wir wollen die zwei
Ellen lange Halsbinde (die du dir auch wie die Braut

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0432" n="422"/>
Er war Nachts &#x017F;iebenmal aufgewacht, um &#x017F;ich &#x017F;ie¬<lb/>
benmal auf den Tag zu freuen; und zwei Stun¬<lb/>
den fru&#x0364;her aufge&#x017F;tanden, um beide Minute fu&#x0364;r<lb/>
Minute aufzue&#x017F;&#x017F;en. Es i&#x017F;t mir als gieng' ich mit<lb/>
dem Schulmei&#x017F;ter zur Thu&#x0364;r hinein, vor dem die<lb/>
Minuten des Tages hin&#x017F;tehn wie Honigzellen &#x2014; er<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;pfet eine um die andre aus und jede Minute<lb/>
tra&#x0364;gt einen weitern Honigkelch. Fu&#x0364;r eine Pen&#x017F;ion auf<lb/>
Lebenslang i&#x017F;t dennoch der Kantor nicht vermo&#x0364;gend,<lb/>
&#x017F;ich auf der ganzen Erde ein Haus zu denken, in<lb/>
dem jetzt nicht Sonntag, Sonnen&#x017F;chein und Freu¬<lb/>
de i&#x017F;t; nein! &#x2014; Das zweite was er unten nach<lb/>
der Thu&#x0364;re aufthat, war ein Oberfen&#x017F;ter, um ei¬<lb/>
nen auf- und niederwallenden Schmetterling &#x2014; einen<lb/>
&#x017F;chwimmenden Silberflitter, eine Blumen-Folie<lb/>
und <hi rendition="#g">Amors</hi> Ebenbild &#x2014; aus <hi rendition="#g">Hymens</hi> Stube<lb/>
fortzula&#x017F;&#x017F;en. Dann fu&#x0364;tterte er &#x017F;eine Vogel-Kapel¬<lb/>
le in den Bauern zum Voraus auf den la&#x0364;rmenden<lb/>
Tag, und fidelte auf der vaterlichen Geige die<lb/>
Schleifer zum Fen&#x017F;ter hinaus, an denen er &#x017F;ich<lb/>
aus der Fa&#x017F;tnacht an die Hochzeitnacht herangetanzt.<lb/>
Es &#x017F;chla&#x0364;gt er&#x017F;t fu&#x0364;nf Uhr, mein Trauter, wir ha¬<lb/>
ben uns nicht zu u&#x0364;bereilen! Wir wollen die zwei<lb/>
Ellen lange Halsbinde (die du dir auch wie die Braut<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[422/0432] Er war Nachts ſiebenmal aufgewacht, um ſich ſie¬ benmal auf den Tag zu freuen; und zwei Stun¬ den fruͤher aufgeſtanden, um beide Minute fuͤr Minute aufzueſſen. Es iſt mir als gieng' ich mit dem Schulmeiſter zur Thuͤr hinein, vor dem die Minuten des Tages hinſtehn wie Honigzellen — er ſchoͤpfet eine um die andre aus und jede Minute traͤgt einen weitern Honigkelch. Fuͤr eine Penſion auf Lebenslang iſt dennoch der Kantor nicht vermoͤgend, ſich auf der ganzen Erde ein Haus zu denken, in dem jetzt nicht Sonntag, Sonnenſchein und Freu¬ de iſt; nein! — Das zweite was er unten nach der Thuͤre aufthat, war ein Oberfenſter, um ei¬ nen auf- und niederwallenden Schmetterling — einen ſchwimmenden Silberflitter, eine Blumen-Folie und Amors Ebenbild — aus Hymens Stube fortzulaſſen. Dann fuͤtterte er ſeine Vogel-Kapel¬ le in den Bauern zum Voraus auf den laͤrmenden Tag, und fidelte auf der vaterlichen Geige die Schleifer zum Fenſter hinaus, an denen er ſich aus der Faſtnacht an die Hochzeitnacht herangetanzt. Es ſchlaͤgt erſt fuͤnf Uhr, mein Trauter, wir ha¬ ben uns nicht zu uͤbereilen! Wir wollen die zwei Ellen lange Halsbinde (die du dir auch wie die Braut

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/432
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/432>, abgerufen am 22.11.2024.