Kinderhaube, wovon das eine Band abgerissen war, eine mit abgegrifnen Goldflittergen überpich¬ te Kinderpeitsche, einen Fingerring von Zinn, ei¬ ne Schachtel mit Zwerg-Büchelgen in 128 Format, eine Wand-Uhr, ein beschmutztes Schreibbuch und ein Finkenkloben Fingerslang. Es waren die Ru¬ dera und Spätlinge seiner verspielten Kindheit: die Kunstkammer dieser seiner griechischen Alter¬ thümer war von jeher unter der Treppe gewesen -- denn in einem Haus, das der Blumenkübel und Treibkasten eines einzigen Stammbaums ist, bleiben die Sachen Säkula lang in ihrer Stelle ungerückt -- und da es von seiner Kindheit an ein Reichsgrundgesetz bei ihm war, alle seine Spiel¬ waaren in chronologischer Ordnung aufzuheben, und da kein Mensch das ganze Jahr unter die Treppe guckte als er: so konnt' er noch am Rüst¬ tage vor seinem Todestage diese Urnenkrüge eines schon gestorbenen Lebens um sich stellen und sich zu¬ rückfreuen, da er sich nicht mehr vorausfreuen konnte. Du konntest freilich, kleiner Maria, in keinen Antikentempel zu Sanssouci eintreten und darin vor dem Weltgeist der schönen Na¬ tur der Kunst niederfallen; aber du konntest
2. Theil. E e
Kinderhaube, wovon das eine Band abgeriſſen war, eine mit abgegrifnen Goldflittergen uͤberpich¬ te Kinderpeitſche, einen Fingerring von Zinn, ei¬ ne Schachtel mit Zwerg-Buͤchelgen in 128 Format, eine Wand-Uhr, ein beſchmutztes Schreibbuch und ein Finkenkloben Fingerslang. Es waren die Ru¬ dera und Spaͤtlinge ſeiner verſpielten Kindheit: die Kunſtkammer dieſer ſeiner griechiſchen Alter¬ thuͤmer war von jeher unter der Treppe geweſen — denn in einem Haus, das der Blumenkuͤbel und Treibkaſten eines einzigen Stammbaums iſt, bleiben die Sachen Saͤkula lang in ihrer Stelle ungeruͤckt — und da es von ſeiner Kindheit an ein Reichsgrundgeſetz bei ihm war, alle ſeine Spiel¬ waaren in chronologiſcher Ordnung aufzuheben, und da kein Menſch das ganze Jahr unter die Treppe guckte als er: ſo konnt' er noch am Ruͤſt¬ tage vor ſeinem Todestage dieſe Urnenkruͤge eines ſchon geſtorbenen Lebens um ſich ſtellen und ſich zu¬ ruͤckfreuen, da er ſich nicht mehr vorausfreuen konnte. Du konnteſt freilich, kleiner Maria, in keinen Antikentempel zu Sansſouci eintreten und darin vor dem Weltgeiſt der ſchoͤnen Na¬ tur der Kunſt niederfallen; aber du konnteſt
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Kinderhaube, wovon das eine Band abgeriſſen
war, eine mit abgegrifnen Goldflittergen uͤberpich¬
te Kinderpeitſche, einen Fingerring von Zinn, ei¬
ne Schachtel mit Zwerg-Buͤchelgen in 128 Format,
eine Wand-Uhr, ein beſchmutztes Schreibbuch und
ein Finkenkloben Fingerslang. Es waren die Ru¬
dera und Spaͤtlinge ſeiner verſpielten Kindheit: die
Kunſtkammer dieſer ſeiner griechiſchen Alter¬
thuͤmer war von jeher unter der Treppe geweſen
— denn in einem Haus, das der Blumenkuͤbel
und Treibkaſten eines einzigen Stammbaums iſt,
bleiben die Sachen Saͤkula lang in ihrer Stelle
ungeruͤckt — und da es von ſeiner Kindheit an ein
Reichsgrundgeſetz bei ihm war, alle ſeine Spiel¬
waaren in chronologiſcher Ordnung aufzuheben,
und da kein Menſch das ganze Jahr unter die
Treppe guckte als er: ſo konnt' er noch am Ruͤſt¬
tage vor ſeinem Todestage dieſe Urnenkruͤge eines
ſchon geſtorbenen Lebens um ſich ſtellen und ſich zu¬
ruͤckfreuen, da er ſich nicht mehr vorausfreuen
konnte. Du konnteſt freilich, kleiner Maria, in
keinen Antikentempel zu Sansſouci eintreten
und darin vor dem Weltgeiſt der ſchoͤnen Na¬
tur der Kunſt niederfallen; aber du konnteſt
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/443>, abgerufen am 22.11.2024.
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