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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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doch in deine Kindheits-Antiken-Stiftshütte
unter der finstern Treppe gucken und die Strahlen
der auferstehenden Kindheit spielten wie des gemal¬
ten Jesuskindes seine im Stall, an den düstern
Winkeln! o wenn größere Seelen als du, aus der
ganzen Orangerie der Natur so viel süße Säfte
und Düfte sögen als du aus dem zackigen grünen
Blatte, an das dich das Schicksal gehangen: so
würden nicht Blätter sondern Gärten genossen und
die bessern und doch glücklichern Seelen wunderten
sich nicht mehr, daß es vergnügte Meisterlein
geben kann.

Wuz sagte und bog den Kopf gegen das Repo¬
sitorium hin, "wenn ich mich an meinen ernsthaf¬
ten Werken matt gelesen und korrigiert; so schau
ich stundenlang diese Schnurpfeifereien an und das
wird hoffentlich einem Bücherschreiber keine Schan¬
de seyn."

Ich wüst' aber nicht, womit der Welt mehr
gedient ist als wenn ich ihr den räsonnierenden Ka¬
talog dieser Kunststücke und Schnurpfeifereien zu¬
wende, den mir der Patient zuwandte. Den zin¬
nenen Ring hatt' ihm die vierjährige Mamsell des
vorigen Pastors, da sie miteinander von einem

doch in deine Kindheits-Antiken-Stiftshuͤtte
unter der finſtern Treppe gucken und die Strahlen
der auferſtehenden Kindheit ſpielten wie des gemal¬
ten Jeſuskindes ſeine im Stall, an den duͤſtern
Winkeln! o wenn groͤßere Seelen als du, aus der
ganzen Orangerie der Natur ſo viel ſuͤße Saͤfte
und Duͤfte ſoͤgen als du aus dem zackigen gruͤnen
Blatte, an das dich das Schickſal gehangen: ſo
wuͤrden nicht Blaͤtter ſondern Gaͤrten genoſſen und
die beſſern und doch gluͤcklichern Seelen wunderten
ſich nicht mehr, daß es vergnuͤgte Meiſterlein
geben kann.

Wuz ſagte und bog den Kopf gegen das Repo¬
ſitorium hin, „wenn ich mich an meinen ernſthaf¬
ten Werken matt geleſen und korrigiert; ſo ſchau
ich ſtundenlang dieſe Schnurpfeifereien an und das
wird hoffentlich einem Buͤcherſchreiber keine Schan¬
de ſeyn.“

Ich wuͤſt' aber nicht, womit der Welt mehr
gedient iſt als wenn ich ihr den raͤſonnierenden Ka¬
talog dieſer Kunſtſtuͤcke und Schnurpfeifereien zu¬
wende, den mir der Patient zuwandte. Den zin¬
nenen Ring hatt' ihm die vierjaͤhrige Mamſell des
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[434/0444] doch in deine Kindheits-Antiken-Stiftshuͤtte unter der finſtern Treppe gucken und die Strahlen der auferſtehenden Kindheit ſpielten wie des gemal¬ ten Jeſuskindes ſeine im Stall, an den duͤſtern Winkeln! o wenn groͤßere Seelen als du, aus der ganzen Orangerie der Natur ſo viel ſuͤße Saͤfte und Duͤfte ſoͤgen als du aus dem zackigen gruͤnen Blatte, an das dich das Schickſal gehangen: ſo wuͤrden nicht Blaͤtter ſondern Gaͤrten genoſſen und die beſſern und doch gluͤcklichern Seelen wunderten ſich nicht mehr, daß es vergnuͤgte Meiſterlein geben kann. Wuz ſagte und bog den Kopf gegen das Repo¬ ſitorium hin, „wenn ich mich an meinen ernſthaf¬ ten Werken matt geleſen und korrigiert; ſo ſchau ich ſtundenlang dieſe Schnurpfeifereien an und das wird hoffentlich einem Buͤcherſchreiber keine Schan¬ de ſeyn.“ Ich wuͤſt' aber nicht, womit der Welt mehr gedient iſt als wenn ich ihr den raͤſonnierenden Ka¬ talog dieſer Kunſtſtuͤcke und Schnurpfeifereien zu¬ wende, den mir der Patient zuwandte. Den zin¬ nenen Ring hatt' ihm die vierjaͤhrige Mamſell des vorigen Paſtors, da ſie miteinander von einem

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/444>, abgerufen am 15.06.2024.