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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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zackten Räder, die man dem Gestelle nürnbergi¬
scher Pferde abgehoben und so zu etwas besserem
verbraucht hatte. -- Die grüne Kinderhaube mit
Spitzen gerändert, das einzige Ueberbleibsel seines
vorigen vierjährigen Kopfes, war seine Büste und
sein Gipsabdruck vom kleinen Wuz, der jezt zu ei¬
nem großen ausgefahren war: Altags-Kleider stel¬
len das Bild eines todten Menschen weit inniger
dar als sein Portrait -- daher besah Wuz das
Grün mit sehnsüchtiger Wollust und es war ihm als
schimmere aus dem Eis des Alters eine grüne Ra¬
senstelle der längst überschneieten Kindheit vor;
"nur meinen Unterrock von Flanel sollt' ich gar ha¬
ben, der mir allemal unter den Achseln umgebun¬
den wurde." -- Mir ist so wohl das erste Schreib¬
buch des Königs von Preußen als das des Schul¬
meisters Wuz bekannt und da ich beide in Händen
gehabt: so kann ich urtheilen, daß der König als
Mann und das Meisterlein als Kind schlechter ge¬
schrieben: "Mutter, sagt' er zu seiner Frau, be¬
tracht' doch wie dein Mann hier (im Schreibbuch)
und wie er dort (in seinem kallygraphischen Mei¬
sterstück von einem Lehnbrief, den er an die Wand
genagelt) geschrieben: ich fress' mich aber noch vor

zackten Raͤder, die man dem Geſtelle nuͤrnbergi¬
ſcher Pferde abgehoben und ſo zu etwas beſſerem
verbraucht hatte. — Die gruͤne Kinderhaube mit
Spitzen geraͤndert, das einzige Ueberbleibſel ſeines
vorigen vierjaͤhrigen Kopfes, war ſeine Buͤſte und
ſein Gipsabdruck vom kleinen Wuz, der jezt zu ei¬
nem großen ausgefahren war: Altags-Kleider ſtel¬
len das Bild eines todten Menſchen weit inniger
dar als ſein Portrait — daher beſah Wuz das
Gruͤn mit ſehnſuͤchtiger Wolluſt und es war ihm als
ſchimmere aus dem Eis des Alters eine gruͤne Ra¬
ſenſtelle der laͤngſt uͤberſchneieten Kindheit vor;
„nur meinen Unterrock von Flanel ſollt' ich gar ha¬
ben, der mir allemal unter den Achſeln umgebun¬
den wurde.” — Mir iſt ſo wohl das erſte Schreib¬
buch des Koͤnigs von Preußen als das des Schul¬
meiſters Wuz bekannt und da ich beide in Haͤnden
gehabt: ſo kann ich urtheilen, daß der Koͤnig als
Mann und das Meiſterlein als Kind ſchlechter ge¬
ſchrieben: „Mutter, ſagt' er zu ſeiner Frau, be¬
tracht' doch wie dein Mann hier (im Schreibbuch)
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[436/0446] zackten Raͤder, die man dem Geſtelle nuͤrnbergi¬ ſcher Pferde abgehoben und ſo zu etwas beſſerem verbraucht hatte. — Die gruͤne Kinderhaube mit Spitzen geraͤndert, das einzige Ueberbleibſel ſeines vorigen vierjaͤhrigen Kopfes, war ſeine Buͤſte und ſein Gipsabdruck vom kleinen Wuz, der jezt zu ei¬ nem großen ausgefahren war: Altags-Kleider ſtel¬ len das Bild eines todten Menſchen weit inniger dar als ſein Portrait — daher beſah Wuz das Gruͤn mit ſehnſuͤchtiger Wolluſt und es war ihm als ſchimmere aus dem Eis des Alters eine gruͤne Ra¬ ſenſtelle der laͤngſt uͤberſchneieten Kindheit vor; „nur meinen Unterrock von Flanel ſollt' ich gar ha¬ ben, der mir allemal unter den Achſeln umgebun¬ den wurde.” — Mir iſt ſo wohl das erſte Schreib¬ buch des Koͤnigs von Preußen als das des Schul¬ meiſters Wuz bekannt und da ich beide in Haͤnden gehabt: ſo kann ich urtheilen, daß der Koͤnig als Mann und das Meiſterlein als Kind ſchlechter ge¬ ſchrieben: „Mutter, ſagt' er zu ſeiner Frau, be¬ tracht' doch wie dein Mann hier (im Schreibbuch) und wie er dort (in ſeinem kallygraphiſchen Mei¬ ſterſtuͤck von einem Lehnbrief, den er an die Wand genagelt) geſchrieben: ich freſſ' mich aber noch vor

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/446>, abgerufen am 22.11.2024.