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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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bestrich und auf dem er die Fliegen an den Bei¬
nen fieng, der Vorläufer des armslangen Finken¬
kloben, hinter dem er im Spätherbst seine schön¬
sten Stunden zubrachte wie auf ihm die Finken ih¬
re häßlichsten? das Vogelstellen will durchaus ein
in sich selbst vergnügtes stilles Ding von Seele
haben.

Es ist leicht begreiflich, daß seine gröste Kran¬
kenlabung ein alter Kalender war und die abscheu¬
lichen 12 Monatskupfer desselben. In jedem Mo¬
nat des Jahrs machte er sich, ohne vor einem
Gallerieinspektor den Hut abzunehmen oder an ein
Bilderkabinet zu klopfen, mehr malerische und ar¬
tistische Lust als andre Deutsche, die abnehmen und
anklopfen. Er durchwanderte nämlich die 11 Mo¬
nats-Vignetten -- die des Monats, worin er wan¬
derte, ließ er weg -- und phantasierte in die
Holzschnitt-Szenen alles hinein was er und sie
brauchten. Es muste ihn freilich in gesunden und
kranken Tagen letzen, wenn er im Jenner-Win¬
terstück auf dem abgeruften schwarzen Baum her¬
umstieg und sich (mit der Phantasie) unter den an
der Erde aufdrückenden Wolkenhimmel stellte, der
über den Winterschlaf der Wiesen und Felder wie

beſtrich und auf dem er die Fliegen an den Bei¬
nen fieng, der Vorlaͤufer des armslangen Finken¬
kloben, hinter dem er im Spaͤtherbſt ſeine ſchoͤn¬
ſten Stunden zubrachte wie auf ihm die Finken ih¬
re haͤßlichſten? das Vogelſtellen will durchaus ein
in ſich ſelbſt vergnuͤgtes ſtilles Ding von Seele
haben.

Es iſt leicht begreiflich, daß ſeine groͤſte Kran¬
kenlabung ein alter Kalender war und die abſcheu¬
lichen 12 Monatskupfer deſſelben. In jedem Mo¬
nat des Jahrs machte er ſich, ohne vor einem
Gallerieinſpektor den Hut abzunehmen oder an ein
Bilderkabinet zu klopfen, mehr maleriſche und ar¬
tiſtiſche Luſt als andre Deutſche, die abnehmen und
anklopfen. Er durchwanderte naͤmlich die 11 Mo¬
nats-Vignetten — die des Monats, worin er wan¬
derte, ließ er weg — und phantaſierte in die
Holzſchnitt-Szenen alles hinein was er und ſie
brauchten. Es muſte ihn freilich in geſunden und
kranken Tagen letzen, wenn er im Jenner-Win¬
terſtuͤck auf dem abgeruften ſchwarzen Baum her¬
umſtieg und ſich (mit der Phantaſie) unter den an
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[438/0448] beſtrich und auf dem er die Fliegen an den Bei¬ nen fieng, der Vorlaͤufer des armslangen Finken¬ kloben, hinter dem er im Spaͤtherbſt ſeine ſchoͤn¬ ſten Stunden zubrachte wie auf ihm die Finken ih¬ re haͤßlichſten? das Vogelſtellen will durchaus ein in ſich ſelbſt vergnuͤgtes ſtilles Ding von Seele haben. Es iſt leicht begreiflich, daß ſeine groͤſte Kran¬ kenlabung ein alter Kalender war und die abſcheu¬ lichen 12 Monatskupfer deſſelben. In jedem Mo¬ nat des Jahrs machte er ſich, ohne vor einem Gallerieinſpektor den Hut abzunehmen oder an ein Bilderkabinet zu klopfen, mehr maleriſche und ar¬ tiſtiſche Luſt als andre Deutſche, die abnehmen und anklopfen. Er durchwanderte naͤmlich die 11 Mo¬ nats-Vignetten — die des Monats, worin er wan¬ derte, ließ er weg — und phantaſierte in die Holzſchnitt-Szenen alles hinein was er und ſie brauchten. Es muſte ihn freilich in geſunden und kranken Tagen letzen, wenn er im Jenner-Win¬ terſtuͤck auf dem abgeruften ſchwarzen Baum her¬ umſtieg und ſich (mit der Phantaſie) unter den an der Erde aufdruͤckenden Wolkenhimmel ſtellte, der uͤber den Winterſchlaf der Wieſen und Felder wie

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/448>, abgerufen am 15.06.2024.