Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

zu weit gedrehet seyn, im Brennofen der Welt
laufen beide schon gehörig ein. Eben so
fordr' ich von einem Jünglinge erst Intoleranz,
dann nach einigen Jahren Toleranz, jene als
die steinige saure harte Frucht eines kräftigen
jungen Herzens, diese als das weiche Lager-
Obst eines ältern Kopfes.

Aber indem der Baumeister mit ihm zeich¬
nete, mit ihm Abgüsse der Antiken und Kunst¬
werke anschauete: so machte er am schönsten
vor diesen seine Liebe für das artistische
Zeichen der Waage am Menschen, der
sein eignes Kunstwerk seyn soll, und seine Ab¬
neigung vor jedem Parorysmus offenbar, der
die äußere Schönheit in Falten bricht wie die
innere, und seinen Wunsch, seine Gestalt und
sein Herz nach der hohen Stille auf den Anti¬
ken zu ordnen,

Der Baumeister bewahrte wie oft der
Künstler und öfter der Schweizer, europäische
Kultur und ländliche Naivetät und Einfachheit
nebeneinander, seiner geliebten Baukunst gleich,
worin mehr als in den andern Künsten Schön¬
heit und messende Vernunft zusammengränzen;

zu weit gedrehet ſeyn, im Brennofen der Welt
laufen beide ſchon gehörig ein. Eben ſo
fordr' ich von einem Jünglinge erſt Intoleranz,
dann nach einigen Jahren Toleranz, jene als
die ſteinige ſaure harte Frucht eines kräftigen
jungen Herzens, dieſe als das weiche Lager-
Obſt eines ältern Kopfes.

Aber indem der Baumeiſter mit ihm zeich¬
nete, mit ihm Abgüſſe der Antiken und Kunſt¬
werke anſchauete: ſo machte er am ſchönſten
vor dieſen ſeine Liebe für das artiſtiſche
Zeichen der Waage am Menſchen, der
ſein eignes Kunſtwerk ſeyn ſoll, und ſeine Ab¬
neigung vor jedem Paroryſmus offenbar, der
die äußere Schönheit in Falten bricht wie die
innere, und ſeinen Wunſch, ſeine Geſtalt und
ſein Herz nach der hohen Stille auf den Anti¬
ken zu ordnen,

Der Baumeiſter bewahrte wie oft der
Künſtler und öfter der Schweizer, europäiſche
Kultur und ländliche Naivetät und Einfachheit
nebeneinander, ſeiner geliebten Baukunſt gleich,
worin mehr als in den andern Künſten Schön¬
heit und meſſende Vernunft zuſammengränzen;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0273" n="253"/>
zu weit gedrehet &#x017F;eyn, im Brennofen der Welt<lb/>
laufen beide &#x017F;chon gehörig ein. Eben &#x017F;o<lb/>
fordr' ich von einem Jünglinge er&#x017F;t Intoleranz,<lb/>
dann nach einigen Jahren Toleranz, jene als<lb/>
die &#x017F;teinige &#x017F;aure harte Frucht eines kräftigen<lb/>
jungen Herzens, die&#x017F;e als das weiche Lager-<lb/>
Ob&#x017F;t eines ältern Kopfes.</p><lb/>
            <p>Aber indem der Baumei&#x017F;ter mit ihm zeich¬<lb/>
nete, mit ihm Abgü&#x017F;&#x017F;e der Antiken und Kun&#x017F;<lb/>
werke an&#x017F;chauete: &#x017F;o machte er am &#x017F;chön&#x017F;ten<lb/>
vor die&#x017F;en &#x017F;eine Liebe für das arti&#x017F;ti&#x017F;che<lb/><hi rendition="#g">Zeichen der Waage</hi> am Men&#x017F;chen, der<lb/>
&#x017F;ein eignes Kun&#x017F;twerk &#x017F;eyn &#x017F;oll, und &#x017F;eine Ab¬<lb/>
neigung vor jedem Parory&#x017F;mus offenbar, der<lb/>
die äußere Schönheit in Falten bricht wie die<lb/>
innere, und &#x017F;einen Wun&#x017F;ch, &#x017F;eine Ge&#x017F;talt und<lb/>
&#x017F;ein Herz nach der hohen Stille auf den Anti¬<lb/>
ken zu ordnen,</p><lb/>
            <p>Der Baumei&#x017F;ter bewahrte wie oft der<lb/>
Kün&#x017F;tler und öfter der Schweizer, europäi&#x017F;che<lb/>
Kultur und ländliche Naivetät und Einfachheit<lb/>
nebeneinander, &#x017F;einer geliebten Baukun&#x017F;t gleich,<lb/>
worin mehr als in den andern Kün&#x017F;ten Schön¬<lb/>
heit und me&#x017F;&#x017F;ende Vernunft zu&#x017F;ammengränzen;<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[253/0273] zu weit gedrehet ſeyn, im Brennofen der Welt laufen beide ſchon gehörig ein. Eben ſo fordr' ich von einem Jünglinge erſt Intoleranz, dann nach einigen Jahren Toleranz, jene als die ſteinige ſaure harte Frucht eines kräftigen jungen Herzens, dieſe als das weiche Lager- Obſt eines ältern Kopfes. Aber indem der Baumeiſter mit ihm zeich¬ nete, mit ihm Abgüſſe der Antiken und Kunſt¬ werke anſchauete: ſo machte er am ſchönſten vor dieſen ſeine Liebe für das artiſtiſche Zeichen der Waage am Menſchen, der ſein eignes Kunſtwerk ſeyn ſoll, und ſeine Ab¬ neigung vor jedem Paroryſmus offenbar, der die äußere Schönheit in Falten bricht wie die innere, und ſeinen Wunſch, ſeine Geſtalt und ſein Herz nach der hohen Stille auf den Anti¬ ken zu ordnen, Der Baumeiſter bewahrte wie oft der Künſtler und öfter der Schweizer, europäiſche Kultur und ländliche Naivetät und Einfachheit nebeneinander, ſeiner geliebten Baukunſt gleich, worin mehr als in den andern Künſten Schön¬ heit und meſſende Vernunft zuſammengränzen;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/273
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/273>, abgerufen am 15.06.2024.