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Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801.

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wenn der Ton, der im Aether vertropft, ihr
das frühe Verrinnen ihres Lebens ansagt und
wenn ihr die langen weichen Melodien als das
Rosenöl vieler zerdrückter Tage entfließen:
denkst du daran nicht, Albano? -- Wie der
Mensch spielet! Die kleine Helena wirft mit
Aurikeln nach den lodernden Wasseradern, da¬
mit sie eine mit aufschleudern; und der Jüngling
Zesara bückt sich weit über das Geländer und
lässet an der schiefen Hand den Wasserstrahl
auf sein heißes Gesicht und Auge abspringen,
um sich damit zu kühlen und zu verhüllen. --
Durch seine Schwester wurde ihm der feurige
Schleier geraubt, Rabette gehörte unter die
Menschen, welche dieses tönende Beben sogar
physisch zernagt -- so wie wieder den Haupt¬
mann die Harmonika wenig ergriff, der immer
am wenigsten gerührt war, wenn es andere
am meisten waren --; die Unschuldige war mit
keinen Schmerzen weniger vertraut als mit sü¬
ßen; die bittersüße Wehmuth, worein sie in der
müßigen Einsamkeit der Sonntage versank, hat¬
ten sie und andere blos für Verdrießlichkeit ge¬
scholten. Jetzt fühlte sie auf einmal mit Errö¬

wenn der Ton, der im Aether vertropft, ihr
das frühe Verrinnen ihres Lebens anſagt und
wenn ihr die langen weichen Melodien als das
Roſenöl vieler zerdrückter Tage entfließen:
denkſt du daran nicht, Albano? — Wie der
Menſch ſpielet! Die kleine Helena wirft mit
Aurikeln nach den lodernden Waſſeradern, da¬
mit ſie eine mit aufſchleudern; und der Jüngling
Zeſara bückt ſich weit über das Geländer und
läſſet an der ſchiefen Hand den Waſſerſtrahl
auf ſein heißes Geſicht und Auge abſpringen,
um ſich damit zu kühlen und zu verhüllen. —
Durch ſeine Schweſter wurde ihm der feurige
Schleier geraubt, Rabette gehörte unter die
Menſchen, welche dieſes tönende Beben ſogar
phyſiſch zernagt — ſo wie wieder den Haupt¬
mann die Harmonika wenig ergriff, der immer
am wenigſten gerührt war, wenn es andere
am meiſten waren —; die Unſchuldige war mit
keinen Schmerzen weniger vertraut als mit ſü¬
ßen; die bitterſüße Wehmuth, worein ſie in der
müßigen Einſamkeit der Sonntage verſank, hat¬
ten ſie und andere blos für Verdrießlichkeit ge¬
ſcholten. Jetzt fühlte ſie auf einmal mit Errö¬

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[106/0114] wenn der Ton, der im Aether vertropft, ihr das frühe Verrinnen ihres Lebens anſagt und wenn ihr die langen weichen Melodien als das Roſenöl vieler zerdrückter Tage entfließen: denkſt du daran nicht, Albano? — Wie der Menſch ſpielet! Die kleine Helena wirft mit Aurikeln nach den lodernden Waſſeradern, da¬ mit ſie eine mit aufſchleudern; und der Jüngling Zeſara bückt ſich weit über das Geländer und läſſet an der ſchiefen Hand den Waſſerſtrahl auf ſein heißes Geſicht und Auge abſpringen, um ſich damit zu kühlen und zu verhüllen. — Durch ſeine Schweſter wurde ihm der feurige Schleier geraubt, Rabette gehörte unter die Menſchen, welche dieſes tönende Beben ſogar phyſiſch zernagt — ſo wie wieder den Haupt¬ mann die Harmonika wenig ergriff, der immer am wenigſten gerührt war, wenn es andere am meiſten waren —; die Unſchuldige war mit keinen Schmerzen weniger vertraut als mit ſü¬ ßen; die bitterſüße Wehmuth, worein ſie in der müßigen Einſamkeit der Sonntage verſank, hat¬ ten ſie und andere blos für Verdrießlichkeit ge¬ ſcholten. Jetzt fühlte ſie auf einmal mit Errö¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/114>, abgerufen am 21.11.2024.