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Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801.

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weglich die süßen Blicke zu und gaben ihr wie
ein Schlaf den Schein der Abwesenheit -- sie
schien eine weiße Maiblume auf winterlichem
Boden, die das Blüthenglöckchen senkt -- sie war
eine sterbende Heilige in der Andacht der Harmo¬
nie, die sie mehr hörte als machte -- nur die ro¬
the Lippe nahm sie als einen feurigen Wieder¬
schein des Lebens, als eine letzte Rose mit, die
den eilenden Engel schmückt -- o konnt' er die¬
ses Beten der Tonkunst stören mit seinem
Wort? --

Mit immer engern Kreisen faßten ihn die
magnetischen Wirbel der Töne und der Liebe
an. -- Und nun da das Ziehen der Harmo¬
nika wie das Wasserziehen der stechenden Son¬
ne sein Herz aufleckte -- und da die Blitze der
Leidenschaft über sein ganzes Leben fuhren und
das Gebirge der Zukunft und die Höhlen der
Vergangenheit beleuchteten und da er sein
ganzes Daseyn in einen Augenblick zusammen¬
faßte: so sah er einige Tropfen aus Lianens
gesenkten Augen quellen und sie blickte heiter
auf, um sie fallen zu lassen -- da riß Albano

K 2

weglich die ſüßen Blicke zu und gaben ihr wie
ein Schlaf den Schein der Abweſenheit — ſie
ſchien eine weiße Maiblume auf winterlichem
Boden, die das Blüthenglöckchen ſenkt — ſie war
eine ſterbende Heilige in der Andacht der Harmo¬
nie, die ſie mehr hörte als machte — nur die ro¬
the Lippe nahm ſie als einen feurigen Wieder¬
ſchein des Lebens, als eine letzte Roſe mit, die
den eilenden Engel ſchmückt — o konnt' er die¬
ſes Beten der Tonkunſt ſtören mit ſeinem
Wort? —

Mit immer engern Kreiſen faßten ihn die
magnetiſchen Wirbel der Töne und der Liebe
an. — Und nun da das Ziehen der Harmo¬
nika wie das Waſſerziehen der ſtechenden Son¬
ne ſein Herz aufleckte — und da die Blitze der
Leidenſchaft über ſein ganzes Leben fuhren und
das Gebirge der Zukunft und die Höhlen der
Vergangenheit beleuchteten und da er ſein
ganzes Daſeyn in einen Augenblick zuſammen¬
faßte: ſo ſah er einige Tropfen aus Lianens
geſenkten Augen quellen und ſie blickte heiter
auf, um ſie fallen zu laſſen — da riß Albano

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[147/0155] weglich die ſüßen Blicke zu und gaben ihr wie ein Schlaf den Schein der Abweſenheit — ſie ſchien eine weiße Maiblume auf winterlichem Boden, die das Blüthenglöckchen ſenkt — ſie war eine ſterbende Heilige in der Andacht der Harmo¬ nie, die ſie mehr hörte als machte — nur die ro¬ the Lippe nahm ſie als einen feurigen Wieder¬ ſchein des Lebens, als eine letzte Roſe mit, die den eilenden Engel ſchmückt — o konnt' er die¬ ſes Beten der Tonkunſt ſtören mit ſeinem Wort? — Mit immer engern Kreiſen faßten ihn die magnetiſchen Wirbel der Töne und der Liebe an. — Und nun da das Ziehen der Harmo¬ nika wie das Waſſerziehen der ſtechenden Son¬ ne ſein Herz aufleckte — und da die Blitze der Leidenſchaft über ſein ganzes Leben fuhren und das Gebirge der Zukunft und die Höhlen der Vergangenheit beleuchteten und da er ſein ganzes Daſeyn in einen Augenblick zuſammen¬ faßte: ſo ſah er einige Tropfen aus Lianens geſenkten Augen quellen und ſie blickte heiter auf, um ſie fallen zu laſſen — da riß Albano K 2

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/155>, abgerufen am 22.11.2024.