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Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801.

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Sitte auf und ab und stand zuweilen an ihm
still. Albano trat in dieser Nähe der stillen
Seele bald aus der harmonischen Wildniß in
mondhelle einfache Stellen heraus, wo nur we¬
nige Töne sich wie Grazien und eben so leicht
verbunden hold bewegen. Der künstliche Wir¬
war enharmonischer Irrlichter ist nur der Vor¬
läufer der melodischen Charitinnen; und nur
diese allein schmiegen sich an die weicheren See¬
len an. Ihm war bis zur Täuschung als
sprech' er laut mit Lianen; und wenn die Töne
immer wie Liebende dasselbe wiederholten vor
Innigkeit und Lust: meinte er nicht Lianen,
und sagte ihr: wie lieb ich Dich, o wie lieb
ich Dich? Fragt' er sie nicht, was klagest Du,
was weinest Du? -- Und sagt' er nicht zu
ihr: blick in dies stumme Herz und flieh' es
nicht, o Reine, Fromme, Meine?

Wie erröthet der Gute, als plötzlich der
liebkosende Freund ihm die Hände um die Au¬
gen legte, die bisher ungesehen im Dunkel, vor
Liebe übergeflossen waren! -- Karl trat hef¬
tig zur Schwester und sie nahm selber seine
Hand und sagte Worte der Liebe. Dann flüch¬

Sitte auf und ab und ſtand zuweilen an ihm
ſtill. Albano trat in dieſer Nähe der ſtillen
Seele bald aus der harmoniſchen Wildniß in
mondhelle einfache Stellen heraus, wo nur we¬
nige Töne ſich wie Grazien und eben ſo leicht
verbunden hold bewegen. Der künſtliche Wir¬
war enharmoniſcher Irrlichter iſt nur der Vor¬
läufer der melodiſchen Charitinnen; und nur
dieſe allein ſchmiegen ſich an die weicheren See¬
len an. Ihm war bis zur Täuſchung als
ſprech' er laut mit Lianen; und wenn die Töne
immer wie Liebende daſſelbe wiederholten vor
Innigkeit und Luſt: meinte er nicht Lianen,
und ſagte ihr: wie lieb ich Dich, o wie lieb
ich Dich? Fragt' er ſie nicht, was klageſt Du,
was weineſt Du? — Und ſagt' er nicht zu
ihr: blick in dies ſtumme Herz und flieh' es
nicht, o Reine, Fromme, Meine?

Wie erröthet der Gute, als plötzlich der
liebkoſende Freund ihm die Hände um die Au¬
gen legte, die bisher ungeſehen im Dunkel, vor
Liebe übergefloſſen waren! — Karl trat hef¬
tig zur Schweſter und ſie nahm ſelber ſeine
Hand und ſagte Worte der Liebe. Dann flüch¬

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[63/0071] Sitte auf und ab und ſtand zuweilen an ihm ſtill. Albano trat in dieſer Nähe der ſtillen Seele bald aus der harmoniſchen Wildniß in mondhelle einfache Stellen heraus, wo nur we¬ nige Töne ſich wie Grazien und eben ſo leicht verbunden hold bewegen. Der künſtliche Wir¬ war enharmoniſcher Irrlichter iſt nur der Vor¬ läufer der melodiſchen Charitinnen; und nur dieſe allein ſchmiegen ſich an die weicheren See¬ len an. Ihm war bis zur Täuſchung als ſprech' er laut mit Lianen; und wenn die Töne immer wie Liebende daſſelbe wiederholten vor Innigkeit und Luſt: meinte er nicht Lianen, und ſagte ihr: wie lieb ich Dich, o wie lieb ich Dich? Fragt' er ſie nicht, was klageſt Du, was weineſt Du? — Und ſagt' er nicht zu ihr: blick in dies ſtumme Herz und flieh' es nicht, o Reine, Fromme, Meine? Wie erröthet der Gute, als plötzlich der liebkoſende Freund ihm die Hände um die Au¬ gen legte, die bisher ungeſehen im Dunkel, vor Liebe übergefloſſen waren! — Karl trat hef¬ tig zur Schweſter und ſie nahm ſelber ſeine Hand und ſagte Worte der Liebe. Dann flüch¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/71>, abgerufen am 21.11.2024.